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Die Sieger der Geschichte Seite 2/6

Aspekte einer Religion
Die ENCARTA Enzyklopädie enthält viel zum Stichwort 'Religion'. Danach gehören zu einer Religion folgende Aspekte:

- Philosophisch-mythologisches Denkgebäude
- Religionsvermittler (z.B. Priester)
- Religionsanhänger
- Wertesystem und Glaubenssätze
- Bräuche und Rituale
- Tabus
- Absoluter Wahrheitsanspruch
- Zentralismus und ein einheitliches System
- Missionierung und Bekehrung 'Ungläubiger'
- Heilsgewissheit und Erlösung

Betrachtet man den DDR-Sozialismus unter diesen Gesichtspunkten, dann kommt man zwangsläufig zu dem erstaunlichen Schluss: Der in der DDR praktizierte und 'real existierende Sozialismus' hatte alle Züge einer Religion:

Das Denkgebäude
Die philosophischen Grundlagen der DDR sind eindeutig, sie wurden mit 'Wissenschaftlicher Weltanschauung' bezeichnet. Die Basis lieferte Karl Marx (1818 - 1883), der eng mit Engels zusammengearbeitet hat. Er hat den Dialektischen und den Historischen Materialismus entwickelt, dazu kommt seine Sicht auf 'Das Kapital' und seine 'Kritik der politischen Ökonomie'. Lenin und Stalin haben kaum Grundsätzliches hinzugefügt. Von ihnen stammen nur pragmatische Aspekte (besser: politische und taktische Aspekte), aber keine philosophische Erweiterung. Nicht ein deutscher Kommunist hat nach Marx wesentliches zu diesem Denkgebäude beigesteuert. Marx wurde millionenfach zitiert und interpretiert, aber niemals aktualisiert. Schon ein solches Ansinnen war Sakrileg. Die Schriften von Stalin wurden Anfang der 60-er Jahre, nachdem Chrustschow 1956 mit Stalin abgerechnet hatte, aus dem 'Klassischen Erbe' gestrichen.

Der Dialektische Materialismus ist eine für Naturwissenschaftler sehr plausible Philosophie, die im wesentlichen auf Hegel zurück geht. Hätten die 'Gesellschaftswissenschaftler' der DDR sich strikt auf den Dialektischen Materialismus bezogen, wäre uns viel erspart geblieben. In der praktischen Politik spielte aber der Historische Materialismus die entscheidende Rolle. Seine Grundaussage ist die These: Die menschliche Gesellschaft entwickelt sich so gesetzmässig vom Niederen zum Höheren, wie das in der Evolution der Natur zu beobachten ist. Die niedrigere Stufe ist der Kapitalismus, auf ihn folgt mit gesetzmässiger Notwendigkeit der Sozialismus und danach der Kommunismus. Darauf fusst der Satz 'Wir sind die Sieger der Geschichte!' Diese angebliche Gesetzmässigkeit ist durch nichts bewiesen, es ist ein reines Glaubensbekenntnis. Das Denkgebäude hat auch mystische Züge. Marx und Engels waren die Säulenheiligen der DDR. Jede Kritik war Sakrileg. Die Oktoberrevolution und ihre

 

Führer wurden legendär überhöht (Personenkult), Tatsachen verfälscht und manipuliert (Stalin). Das beste Beispiel für die Mystifizierung ist der einbalsamierte und in einem Glassarkophag kultisch verehrte Lenin.
Einer der grössten Fehler der DDR-Ideologen bestand darin, dass das einmal errichtete Denkgebäude unveränderlich war. Ein typisches Charakteristikum aller Religionen. Keiner dachte in diesem Zusammenhang an die Notwendigkeit der 'Negation der Negation'. Dass sich der Kapitalismus von 1980 grundlegend von dem unterschied, den Marx 120 Jahre vorher brillant analysiert hatte, war eines der vielen Tabus der DDR.

Die Religionsvermittler
Diese Rolle war ganz eindeutig der 'Partei der Arbeiterklasse' zugedacht und sie hat sie auch strikt wahrgenommen. Der 'Parteisekretär' in der Wirtschaft und der 'Politkommissar' in der Armee hatten mehr Macht, als der Direktor oder der General. Die Vermittlung der 'wahren Lehre' durch die Partei war streng hierarchisch organisiert. An der Spitze stand der 'Generalsekretär der SED' der gleichzeitig auch der 'Erste Sekretär des Politbüros' war, das eigentliche Machtorgan der Partei. Zeitweilig wurde ein religiöser Personenkult um die Parteiführer getrieben. Die Parteispitze (das Politbüro und das Zentralkomitee) hat die Linie formuliert und sie sich in den Plenartagungen vom Parteivolk absegnen lassen. Diese Linie wurde dann auch bis in den kleinsten Winkel der Republik durch die hierarchische Parteiorganisation durchgesetzt und kontrolliert.

Die unterste Hierarchie war die Parteigruppe, geführt vom 'Parteigruppensekretär'. Jedes Parteimitglied war in einer Parteigruppe 'organisiert' und unter Kontrolle. Monatlich waren mindestens drei Pflichtveranstaltungen zu absolvieren: Die Mitgliederversammlung, die Gruppenversammlung und das Parteilehrjahr. Diese Veranstaltungen liefen nach einem festen Ritus ab. Die Teilnahme war Pflicht und das Hauptziel war die Erläuterung und das 'Studium' der aktuellen 'Dokumente' der Partei. Die Partei hat mit ihren 'Dokumenten' die verbindliche Lehrmeinung verkündet und auch nur sie war für die richtige Auslegung zuständig. Marx war genau so unantastbar, wie die Bibel heute noch ist und die 'Dokumente' des jeweilig letzten Plenums hatten praktisch Gesetzeskraft.

Die Partei verfügte nicht nur über die Richtlinienkompetenz in allen Bereichen des Staates, sie hatte mit der Kontrolle über die Armee, die Polizei und den Geheimdienst auch die physische Macht, sie durchzusetzen. Alle Gewalt lag bei der Partei. In den 'Dokumenten' und im 'Zentralorgan' (die Zeitung 'Neues Deutschland') sprachen die Machthaber von 'unseren Menschen'. Eine entlarvende Bezeichnung, denn die Bürger der DDR waren der Partei hilflos ausgeliefert. Nur in einer Oligarchie oder einem 'Gottesstaat' besitzt eine kleine Kaste soviel Macht über alle anderen Menschen.

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