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Ein Weblog nachhaltiger Unvernunft
Fakten zum Gipfel von Johannesburg

 

Vom 26. August bis zum 04. September wird von der UNO in Johannesburg der 'Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung' ausgerichtet. Es ist die Nachfolgeveranstaltung des legendären Weltgipfels von Rio de Janeiros aus dem Jahr 1992. Wer weiss überhaupt noch, dass 1995 ein solcher Welt Klima Gipfel auch in Berlin stattgefunden hat? Auf diesen Veranstaltungen ging und geht es um die Erhaltung der natürlichen Recourcen, der Artenvielfalt (Biodiversität) und den Klimaschutz: Existenziell für das Überleben des Lebens auf diesem Planeten. 060702

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Der bislang größte Gipfel der Vereinten Nationen findet unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen statt. Seit Mittwoch wurden rund 200 Menschen festgenommen, darunter Anhänger der afrikanischen Landlosen-Bewegung. Am Samstag vertrieb die Polizei die Teilnehmer einer nicht genehmigten Kundgebung mit Tränengas. Nach Angaben südafrikanischer Sonntagszeitungen befürchten die Organisatoren Stör- und Sabotageaktionen von Globalisierungsgegnern, Anhängern der Nahost- Konfliktparteien sowie der Landlosen-Bewegung.
SPIEGEL ONLINE
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"Sie verlassen die Sicherheitszone auf eigene Gefahr", mahnt ein Schild vor dem Hotelfenster und ein Merkblatt der Deutschen Botschaft verunsichert den Südafrika-Besucher vollends: "Innenstädte von Pretoria und Johannesburg am Wochenende möglichst meiden. Wagen in den Städten von innen geschlossen halten. Bei Überfällen PKW oder Wertgegenstände widerstandslos hergeben (erhöhte Gewaltbereitschaft!). Von der Benutzung der Vorstadtzüge wird nachdrücklich abgeraten..."

In der Konferenzleitung selbst macht sich inzwischen jedoch eine ganz andere Sorge breit. Die Absage von US-Präsident George W. Bushs hat dazu geführt, dass auch in anderen Delegationen neu nachgedacht wird, eventuell doch nicht die Regierungschefs nach Johannesburg zu holen. Diese Sorge bestätigte der Konferenzbeauftragte von Uno-Chef Kofi Annan, Jan Pronk gegenüber SIEGEL ONLINE. Aus seinem Frust über die Bush-Absage macht er keinen Hehl: "Dies ist ein Gipfeltreffen und kein bilateraler Staatendialog!"

Und noch eine Sorge wächst: Die Einigung auf einen effektiven Aktionssplan zur umweltgrechten Bekämpfung der Armut wird immer unwahrscheinlicher. Zwar stellte am Dienstag die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung Fortschritte im Detail fest, sogar auf Seite der Amerikaner. So habe es ein unerwartetes Zugeständnis der US-Delegation für zeitliche Verpflichtungen gegeben. Denn bislang hatten amerikanische Unterhändler versucht, im Aktionsplan, den der Gipfel verabschieden soll, jeden Hinweis auf verbindliche Zeitpläne zu dessen Umsetzung zu verhindern. Nun hätten sie wenigstens im dem Teil des Verhandlungstexts, der sich mit dem Schutz der Fischbestände in den Ozenanen befasst, die zeitliche Zielvorgabe 2015 akzeptiert.
SPIEGEL ONLINE, 280802

Der erste Protestzug mit mehreren tausend Teilnehmern hatte sich am Vormittag von der Armensiedlung Alexandra zum benachbarten Konferenzgelände in Sandton in Bewegung gesetzt, um symbolisch die Stimme der Armen in den Vorort der Reichen zu tragen. Angeführt wurde der Protestzug von der Landlosen-Bewegung, die "Land, Lebensmittel und Arbeitsplätze" forderte. Zu den teilnehmenden Organisationen gehörten unter anderem Italiens größte Umweltgruppe Legambiente sowie die internationale Landlosen-Organisation Via Campesina. Auch simbabwische Oppositionelle beteiligten sich.

Keine Bewegung im Energie-Streit: Auf dem offiziellen Treffen gerieten die Verhandlungen in der strittigen Energiefrage ins Stocken. Nach Angaben von Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) wollen die in der Gruppe G77 vereinten Entwicklungsländer keine zeitlichen Festlegungen beim Ausbau erneuerbarer Energie akzeptieren. Stattdessen wollen sie im verhandelten Aktionsplan nur deren Förderung festschreiben. Bei den nächtlichen Beratungen auf Ministerebene sei der Brasiliens verworfen worden, eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energie auf zehn Prozent bis 2010 als Ziel festzuschreiben.
SPIEGEL ONLINE, 310802

Die wahrscheinlich beste Nachricht ... und sie hat nichts mit dem Gipfel von Johannesburg zu tun: Die Weltbank hat sich nach 50 Jahre von ihrem bisherigen Leitbild verabschiedet, dass die Entwicklungsländer so werden sollten, wie die erste Welt ist. Jetzt ist den Bankern klar geworden, dass das weder möglich noch sinnvoll ist. Gratulation !! Das Wohlstandsmodell der Industrieländer ist obsolet. Es werden 'neue Wachstumsmodelle' für die armen Länder entwickelt.

  • Seit den 50-er Jahren sind weltweit zwei Millionen Hektar oder 23 Prozent aller Äcker, Weiden und Wälder 'degeneriert'.
  • Die Kluft zwischen reichen und armen Ländern hat sich in den letzten 40 Jahren verdoppelt, ebenso die Zahl der Menschen, die unter Überschwemmungen oder Trockenheit leiden.
  • Das 'Weltinlandsprodukt' wird sich bis 2050 auf 140 Billionen Dollar vervierfachen, wenn an den heutigen Produktions- und Verbrauchsmustern festgehalten wird. Das bedeutet auch einen ähnlichen Anstieg des Verbrauchs natürlicher Recourcen.

01.09. 2002

Die Entwicklungsländer sehen die Agrarsubventionen der Industrieländer als eine Hauptursache ihrer Armut an. Die Subventionen wirken wie Einfuhrzölle. Die Entwicklungsländer können ihre Agrarprodukte nicht in die Erste Welt exportieren, sie sind gegen die staatlich subventionierten Preisen nicht konkurrenzfähig. Schlimmer noch: Die reichen Länder des 'Westens' exportiert nicht nur Industrieerzeugnisse, sondern auch Agrarprodukte in Entwicklungsländer und ruiniert dort mit den Subventionen die Erzeugerpreise!
Die Streichung der Agrarsubventionen in den Industriestaaten wäre für den Aufschwung der Entwicklungsländer deutlich effektiver, als eine wesentliche Erhöhung der Entwicklungshilfe (die nicht in Sicht ist). Am Widerstand Frankreichs ist die Diskussion über die Agrarsubventionen auf dem Gipfel in Johannesburg gescheitert. Frankreich agiert stellvertretend für die Industrieländer und blockt jede Diskussion darüber ab.
Die Subventionen werfen ein Schlaglicht auf die Globalisierung: Sie ist eine Einbahnstrasse: Die Erste Welt kommt billig zu Rohstoffen und zu globalen Absatzmärkten für ihre Produkte.

Ab heute reden in Johannesburg die Staatschefs von mehr als 100 Ländern zu den Delegierten. Jedem wurde eine Redezeit von 5 Minuten eingeräumt. Gerhard Schröder hatte die Ehre, nach der Einleitung durch Kofi Annan den Anfang zu machen. Im Hintergrund wird weiter um die unverbindlichsten Formulierungen für das Abschlussprotokoll verhandelt.
02.09.2002

 

Originalton 9 Uhr, ZDF Nachrichten:

Johannesburg:
Einigung über erneuerbare Energien

Nach tagelangen zähen Verhandlungen haben sich die Delegierten auf dem Weltgipfel in Johannesburg am späten Montagabend auf einen Ausbau erneuerbarer Energien geeinigt - allerdings ohne konkrete Ziele und Zeitpläne. Die Bundesregierung konnte eine ihrer wichtigsten Forderungen - den Ausbau erneuerbarer Energien auf 15 Prozent bis 2010 - nicht durchsetzen (Wichtig, weil Deutschland auf diesem Gebiet auf Exportgeschäfte hofft ...).
Mit der Einigung ist der letzte zentrale umstrittene Punkt gelöst. Deutsche und internationale Umweltverbände nannten den Beschluss einen Skandal und sahen den Gipfel gescheitert.
Der Beschluss sieht nur noch eine "bedeutende Steigerung" des Anteils erneuerbarer Energien vor, die "dringend" zu geschehen habe. "Das ist ein schwieriger Kompromiss", räumte ein deutscher Delegierter am späten Montagabend ein. "Wir hatten ehrgeizige Ziele - aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft nicht groß genug ist." Insgesamt sei die Bilanz des Gipfels "durchwachsen".
Der Weltgipfelexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Daniel Mittler, kritisierte: "Die Allianz aus USA, Japan und OPEC hat den Gipfel für nachhaltige Entwicklung zu einem Gipfel der nachhaltigen Enttäuschung werden lassen." Der World Wide Fund for Nature (WWF) zeigte sich "entsetzt über die Frechheit und Unverschämtheit, mit der die USA und die OPEC sich über die Interessen der armen Länder hinwegsetzen".

Kommentar von Bundesumweltminister Trittin in Johannesburg:
"Das ist ein ganz grosser Fortschritt."
03.09.2002

Überraschung: China gab beim Weltgipfel in Johannesburg überraschend die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls bekannt. Auch Russland kündigte seine Zustimmung an. Damit könnte das Klimaschutz-Abkommen schon bald in Kraft treten -
auch ohne die Beteiligung der USA.
03.09.2002

 

Eklat in Johannesburg: Powell ausgepfiffen
"Shame on Bush, shame on bush" skandierten Vertreter zahlreicher Umwelt-NGOs im großen Konferenzsaal des Uno-Gipfels von. Buhrufe statt Beifall überwogen und hilflos geleiteten Sicherheitskräfte den amerikanischen Außenminister Colin Powell erst von der Bühne aus dem Saal, dann wieder hinein und erst auf neuerlichen Umwegen nach draußen.
Powells Rede auf dem Gipfel hatte für Unmut gesorgt, weil sie so klang als wäre sie vom US-Präsidenten George W. Bush verfasst, der selber nicht nach Johannesburg kam. Nur Eigenlob, keine Selbstkritik und kein Wort zur Forderung so vieler anderer Staatsführer an die USA, endlich dem Kyoto-Protokoll für Klimaschutz beizutreten. Stattdessen Worthülsen wie diese: "Die USA haben sich vielen Wegen zur Treibhausgasreduktion verschrieben" und "freier Handel ist der Motor der Entwicklung".
Schon vorher hatten zahlreiche Delegierte Kritik an der Verhandlungsführung der US-Delegation geübt, die konsequent verbindliche Beschlüsse blockierte oder verwässerte. Selbst am letzten Tag habe die US-Delegation versucht, einen bereits gefassten Beschluss über Verantwortung der Unternehmen in Umweltfragen wieder zu kippen. Umweltgruppen warfen den USA vor, sie hätten im Verein mit großen Konzernen ihre Interessen erpresserisch durchgesetzt. Aus der Abkürzung für den "World Summit for Sustainable Developement" (WSSD) wurde auf ihren Aufklebern "W$$D"
Vor der Tür machten viele Delegierte aus ihrem Zorn über den Bush-Ersatzmann keinen Hehl. Michael Brune, der Direktor des "rainforest action network" in San Francisco beklagte eine "betrügerische Rede" und Craig Bennett von "Friends-of-the-earth" warf der US-Regierung "Sabotage" des Johannesburg-Gipfels vor. Das war "ausgesprochen heuchlerisch und peinlich für mein Heimatland Amerika", kommentierte Elisa Grandia aus der Universität Berkley.
SPIEGEL ONLINE, 04.09.02

Heute:
Abschluss des Gipfels in Johannesburg

Die wichtigsten Punkte des beschlossenen 'Aktionsplanes':

Artenvielfalt: Bis zum Jahr 2010 soll die derzeitige Geschwindigkeit des Artensterbens "deutlich reduziert" werden.

Chemikalien:
Die negativen Auswirkungen von Chemikalien auf Mensch und Natur sollen bis zum Jahr 2020 "minimiert" werden.

Entwicklungshilfe:
Der Aktionsplan "drängt" Industrieländer zu "konkreten Anstrengungen", ihre Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes zu erhöhen. Diese Aufforderung gab es bereits in einer Uno-Deklaration von 1970 und auf dem Rio-Erdgipfel 1992. Bislang haben jedoch erst fünf Länder dieses Ziel erreicht. Die Hilfe Deutschlands lag im vergangenem Jahr bei 0,27 Prozent.

Energie:
Es werden keine konkreten Ziele und Zeitpläne für den Ausbau erneuerbarer Energien festgelegt. Der Aktionsplan sieht lediglich eine "bedeutende Steigerung" des Anteils erneuerbarer Energien vor, die "dringend" zu geschehen habe.

Fischerei:
Die Fischbestände sollten erhalten werden. Weiteres Ziel ist eine Erholung geschädigter Bestände bis 2015 - "wo dies möglich ist". Zerstörende Fischereipraktiken sollen beseitigt und weitere Meeresschutzgebiete - basierend auf internationalem Recht und wissenschaftlichen Informationen - bis 2012 geschaffen werden.

Frauen und Gesundheit:
Die Gesundheitsversorgung soll laut Aktionsplan die Menschenrechte und fundamentale Freiheiten respektieren. Damit erteilt der Johannesburg-Gipfel Genitalverstümmelungen und menschenrechtswidrigen Diskriminierungen von Frauen eine Absage. Die Verhütung ist zwar nicht ausdrücklich genannt, die Vereinten Nationen haben aber in vorherigen Beschlüssen das Recht auf Verhütung als Menschenrecht eingestuft.

Globale Regeln für Unternehmen:
Die ökologische und soziale Verantwortung der global handelnden Unternehmen wird als wichtiger Bestandteil der nachhaltigen Entwicklung angesehen. In den Rio-Vereinbarungen von 1992 wurde die Verantwortung der Großunternehmen noch gar nicht erwähnt.

Handel und Globalisierung:
Umweltschädliche Subventionen sollen - ohne Zeitvorgabe - abgebaut werden. Das betrifft vor allem Steinkohlesubventionen. Keine Extravereinbarung wurde zu den wettbewerbsverzerrenden Subventionen abgeschlossen. Insbesondere die Entwicklungsländer hatten einen deutlichen Abbau von Agrarsubventionen der Industrieländer gefordert. Der Johannesburg-Aktionsplan geht hier explizit nicht über die Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) von Doha 2001 hinaus, auf der nur vage Zusagen zum Subventionsabbau vereinbart wurden. In einem weiteren Kapitel des Aktionsplans wird festgelegt, dass die internationalen Umweltvereinbarungen nicht - wie von vielen Umweltschützern zunächst befürchtet - den Regeln der WTO untergeordnet werden.

Konsumverhalten:
Die Staaten "ermutigen zur und fördern die" Einrichtung eines 10-Jahres-Rahmenplans mit Programmen zur Änderung des Konsum- und Produktionsverhaltens. Er soll regionale und nationale Initiativen unterstützen und somit die Wende in diesem Bereich beschleunigen.

Kyoto-Protokoll:
Staaten, die das Klimaschutz-Protokoll von Kyoto bereits ratifiziert haben, appellieren nachdrücklich an die anderen Staaten, dies ebenfalls zu tun. Bislang haben unter anderem die USA, Australien, Kanada und Russland das Protokoll nicht ratifiziert.

Natürliche Ressourcen:
Der Verlust der natürlichen Ressourcen wie Seen und Wälder soll "sobald wie möglich" gestoppt werden.

Solidaritätsfonds:
Der Aktionsplan regt an, einen Welt-Solidaritätsfonds zur Armutsbekämpfung einzurichten, der auf freiwilligen Beiträgen basiert. Darin könnten neben Staaten auch Unternehmen und Bürger einzahlen.

Trinkwasser und sanitäre Anlagen:
Bis zum Jahr 2015 soll der Anteil der Menschen ohne sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser - wie bereits in der Millenniums-Erklärung vereinbart - halbiert werden. Zusätzlich soll bis dahin auch der Anteil der Menschen ohne Zugang zu Kanalisation halbiert werden.

Überwachung dieser Vereinbarungen:
Es sind keine neuen Regeln zur Überwachung der Vereinbarungen vorgesehen, die über alte Abkommen hinausgehen.

Das bedeutet: De facto keine Überwachung und erst recht keine Sanktionen bei Nichterfüllung der windelweichen Vereinbarungen.
Wer käme auf die Idee, beim Notar einen solchen Vertrag abzuschliessen??!

SPIEGEL ONLINE, 04. September 2002 ... und kein weiterer Kommentar !!

 

Jürgen Albrecht, 24. August 2002


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