Apparatus of Lies?
Florian Rötzer 08.06.2003
Mit den noch immer fehlenden Beweisen für die
Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak gerät die US-Regierung
ins Schlingern und mitsamt ihrer perfektionierten, aber nicht
perfekten strategischen Kommunikation in eine Vertrauenskrise
Es ist schon erstaunlich, wie viel Zeit
die Öffentlichkeit und viele Medien benötigten, um das von der
zum Krieg gegen den Irak entschlossenen US-Regierung Gespinst
an Halbwahrheiten und Vermutungen, die zu Tatsachenbehauptungen
aufgebläht wurden, in Frage zu stellen. Den Schicksalswink des
11.9. rücksichtslos ausbeutend, war es bereits kurz nach den
Anschlägen klar, dass der Krieg gegen den internationalen Terrorismus
über den vor allem der Legitimation dienenden Einstieg in Afghanistan
zunächst in den Irak und womöglich darüber hinaus gehen würde.
Doch viele Politiker und Medien gefielen sich darin, den Behauptungen
und der Politik der US-Regierung und der von ihr gezielt gestreuten
Panik zu folgen und beispielsweise endlos zu wiederholen, dass
der Irak es in der Hand habe, einen Krieg abzuwehren.
Der 11.9. hatte die Welt in ein Koma versetzt. Man muss, aus
der Perspektive der Macht gesehen, die amerikanische Regierung
mit ihren Beratern und vor allem ihren Medienexperten bewundern,
wie schnell und gezielt der Terroranschlag ausgenutzt wurde,
um den national und international im Ansehen schwächelnden Bush
mit der ihm zur Verfügung stehenden Militärmacht zu dem Mann
zu machen, der den Takt der Welt bestimmen und so die von den
Neokonservativen geplante (Aufrüstungs)Politik durchsetzen kann.
Dass angesichts dieser Explosion an Macht Verschwörungstheorien
gedeihten, ist nicht verwunderlich. Im Nun waren nicht nur die
Schuldigen gefunden, sondern wurde die "Reaktion" auf dem Hintergrund
der mehreren Tausend Anschlagsopfer eingespannt in einen angeblichen
Kreuzzug der Guten oder der zivilisierten Welt gegen das Böse
und in einen amerikanischen Sendungsauftrag, angeführt von Bush
als einer Art Messias. Zudem geschah dies alles auch noch zu
Beginn des neuen Jahrtausends.
Die US-Regierung war nie wirklich an der Aufklärung des Terroranschlag
interessiert, sondern lediglich an dessen Ausbeutung durch medial
geschickt inszenierte spektakuläre Aktionen (das freilich ist
wohl stets, was man Realpolitik nennt). Der lange vorbereitete,
live präsentierte Shock-and-Awe-Medienkrieg gegen den Irak war
nur die Kulmination der Betäubungskampagne, während man ohne
Bedenken in der ob der Machtfülle und Aktionsbereitschaft erstarrten
politischen Landschaft die Angriffe auf Verfassungsrechte oder
den vielen Verletzungen oder Missachtungen von Menschenrechten
und des internationalen Rechts ausführen konnte. Der auch von
Ashcroft innenpolitisch praktizierte nonchalante Umgang mit
Gesetzen und Rechten hat möglicherweise tatsächlich etwas mit
dem religiösen Fundamentalismus der Regierung zu tun.
Es hat anderthalb Jahre gedauert, bis die bislang marginale
Kritik an der US-Regierung, die angesichts der erfundenen, zumindest
höchst konstruierten Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen
im Irak oder die Verbindung mit al-Qaida, nun endlich selbst
zur amerikanische Öffentlichkeit gelangt, die besonders von
den aus Quotengier patriotisch-bushistischen Fernsehsendern
betäubt wurden. Erstaunlich aber auch, dass in Großbritannien
der Regierungskurs von Blair trotz einer höheren Medienaufklärung
und stärkerer Opposition so lange tragen könnte. Obwohl vermutlich
die meisten Politiker und Regierungen der Welt wie auch alle
anderen einigermaßen zur Reflexion fähige und willige Menschen
mit großer Sicherheit davon ausgehen konnten, dass hinter dem
Tamtam der Kriegsrhetorik von Bush und Co. mehr Propaganda als
Wahrheit steckt, haben viele das trügerische Gespinst entweder
aus eigenen Interessen mitgetragen oder zumindest nicht den
Mut gefunden, Tacheles zu sprechen. Wer sich den USA widersetzte,
muss(te) denn auch mit Abstrafung rechnen.
Die Zurückhaltung mag auch teilweise - unterstellt man guten
Willen - diplomatische Vorsicht gewesen sein, möglicherweise
die US-Regierung doch noch bei fehlenden Beweisen durch die
UN-Inspektoren zum Einlenken bringen zu können. Aber auch das
hätten Gutgläubige besser wissen können, denn die Bush-Regierung
hatte dem schon längst vorgebaut und klar gemacht, dass die
USA mit oder ohne UN-Zustimmung den Irak "entwaffnen" werde
(auch wenn schon vor dem Krieg angesichts der kläglichen Indizienlage
schon einmal auf Operation Iraqi Freedom umgeschaltet wurde).
Ab einem bestimmten Zeitpunkt
ist der Bogen überspannt
Zunächst schien man in der US-Regierung davon auszugehen, dass,
unabhängig vom Kriegsgrund der "Entwaffnung", der Sieg über
die Diktatur und die erwartete begeisterte Einführung der Demokratie,
die Legitimation rückwirkend unwichtig werde. Schließlich hat
man die Welt ja wieder ein Stück mehr befreit (und angeblich
sicherer gemacht), auch wenn damit Völkerrecht gebrochen und
die Weltgemeinschaft übers Ohr gehauen wurden. Das wäre für
die mächtigen Männer (und die einzige Frau) der Welt um den
allermächtigsten Regenten der Supermacht und obersten Befehlshaber
wahrscheinlich nicht weiter schlimm und auszusitzen gewesen.
Doch übertölpelt und angeschwindelt wurden im Brustton der höchsten
Überzeugung - und stets mit dem Verweis auf den Irak als ein
Regime, das als Apparatus
of Lies auf perfekten Lug und Trug aufgebaut ist (Von
Wahrheit und Lüge) - auch der US-Kongress und die eigene
Bevölkerung. Die Rede von der Entwaffnung war, wie Wolfowitz
unlängst einräumte, ökonomisch einfach am besten zur Kriegslegitimation
geeignet, was heißt: Mit der Instrumentalisierung von Angst,
die sowieso zur Irrationalität und Panik neigt, kann man vieles
leichter durchsetzen (Endlich
gefunden: Die Wahrheitsvernichtungswaffen im hochmobilen Lügenlabor).
Das könnte man auch "strategische Kommunikation" nenne, wie
das Pentagon sein angeblich wieder eingestelltes Projekt einer
Propagandabehörde nennen wollte.
Doch der dem Bösen unterstellte Vorwurf des Betrugs und der
Täuschung könnte nun mit dem völligen Fehlen von Massenvernichtungswaffen
und entsprechenden Produktionsstätten doch zurückschlagen. Warum
sollte man einer Regierung, selbst wenn sie möglicherweise "Gutes"
bewirkt, was mit den Post-Kriegserfahrungen mit Afghanistan
und Irak auch nicht mehr so sicher ist, Vertrauen schenken,
wenn sie dies mit perfiden Lügen und gezielten Übertreibungen
zu bewerkstelligen sucht. Irgendwann glaubt man nichts mehr,
da kann dann auch die anfängliche Wirkung durch die sture Wiederholung
der Behauptungen nichts mehr fruchten. Und es gibt ja nicht
nur die Terroristen und die bösen Schurkenstaaten, sondern auch
in der Innen- und Wirtschaftspolitik Probleme zuhauf. Zudem
scheint nicht einmal mehr das Geld so schnell wie erwartet aus
den irakischen Quellen zu fließen und die möglicherweise jahrelange
Besetzung teuer in einem Haushalt zu Buche schlagen, der noch
schlimmer als in Deutschland in Schulden versinkt.
Mittlerweile - in Wirklichkeit aber schon vor dem Krieg (Lesen
Sie den CIA-Bericht noch einmal!) - scheinen auch die amerikanischen
(und britischen) Geheimdienste nicht mehr nur willfähriges Instrument
ihrer Regierungen sein zu wollen. möglicherweise um nicht im
Strudel mitgerissen zu werden und in der Zeit nach Bush an Macht
zu verlieren. Sie scheinen zumindest nicht den Prügelknaben
abgeben zu wollen, den sie für Bush und Blair spielen sollen.
Alastair Campbell, Blairs Propagandachef oder eben strategischer
Kommunikationsexperte, scheint nun schnell noch die Wogen glätten
zu wollen, indem er sich in einem Brief an den Geheimdienst
MI6 entschuldigte,
dass dem schlampig aus dem Internet zusammengeschusterten Bericht
über die irakischen Massenvernichtungswaffen Geheimdienstinformationen
zugrunde gelegen haben sollen (Geheime
Cut-and-Paste-Informationen). Inzwischen drohen
Geheimdienstmitarbeiter mit weiteren Einzelheiten.
Nun hat auch der Pentagon-Geheimdienst Defence Intelligence
Agency DIA die Zusammenfassung eines Berichts
aus dem September 2002 einer Zeitung zugespielt, in dem keine
Rede von Beweisen ist, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen
verfügt (ganz ähnlich war übrigens ein CIA-Bericht),
dessen Möglichkeitsaussagen auf dem Weg zu Bush, Rumsfeld oder
Powell in Tatsachenbehauptungen "übersetzt" wurden).
Obgleich das alles längst bekannt hätte sein müssen, Rumsfeld
und Co. sich in rhetorischen Höhenflügen schon vor dem Krieg
mit dem Problem auseinander gesetzt hatten (Rumsfeld
und der Gottesbeweis), was wäre, wenn die Waffen nicht gefunden
werden, und nach dem Krieg kaum mehr jemand vor dem Schwindel
der Bush-Regierung mehr die Augen verschließen kann, spitzt
sich die Ent-Täuschung nun mit jeder neuen Erkenntnis zu. Auch
die zuletzt verzweifelt angebotenen "mobilen Biowaffenlabors"
können die Hoffnungen wohl, wie zu erwarten, nicht
einlösen. Vor kurzem hatte sich auch Bush, vermutlich auf
Geheiß seiner Berater, auf sie noch als Beweise kapriziert.
Der Ausweg aus dem Lügengespinst
vor den nächsten Wahlen
Nun glaubt eigentlich nur noch die Regierung an sich selbst,
was schon einigen komödiantischen Wert haben könnte, wenn es
nicht um die Supermacht ginge und ein trotz allem Trug komplexes
Thema, schließlich sind trotz etwaiger Verletzungen des Völkerrechts
der Sturz von Tyrannen und eine Befreiung des Volkes an sich
eine begrüßenswerte Tat, selbst wenn dahinter geopolitische
und wirtschaftliche Interessen stehen. Doch die Windungen, die
Regierungssprecher Ari Fleischer vollführen
muss, der womöglich dankbar ist, den Job bald an den Nagel hängen
zu können, sprechen Bände für die Verlegenheit, die Kritik nicht
einfach beiseite schieben zu können (die Atomwaffen und al-Qaida
fallen dabei schon einmal unter den Tisch):
Wir haben weiterhin Vertrauen in unsere Behauptungen
über den Besitz Iraks von chemischen und biologischen
Waffen ... Die präzise Lokalisierung, wo der Irak die
chemischen und biologischen Waffen hat, waren niemals
klar, aber die Tatsache, dass man sie hat, stand aufgrund
einer Lektüre der Geheimdienstinformationen nie in Zweifel. |
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Was kann die US-Regierung ein Jahr vor der Wahl tun, zu der
das Gespann Bush-Cheney wieder antritt, um der Erosion der Glaubwürdigkeit
Einhalt zu gebieten? Natürlich, würde die Wirtschaft demnächst
wieder brummen, wäre wie überall auf der Welt vieles vergessen.
Doch wenn dieser glückliche Fall nicht eintritt und auch kein
neues "Pearl Harbor" geschieht, was dieses Mal aber im Unterschied
zum 11.9. gegen die Sicherheit versprechende Regierung ausschlagen
könnte, könnte im Sinne der "Wag-the-dog"-Strategie womöglich
ein neuer Krieg ein Ausweg sein.
Selbst bei CNN hat man begonnen, darüber nachzudenken, um das
gleich wieder zu verwerfen. Der Kongress würde jetzt einem neuen
Krieg wohl nicht zustimmen, hofft
zumindest der Autor John Dean, ein früherer Präsidentenberater,
bis die offenen Fragen des Irak-Kriegs beantwortet sind. Doch
das mag trügen, schließlich haben die republikanischen Abgeordneten
mit Bush, dem 11.9. und den Kriegen die Mehrheit errungen -
und Wahrheit macht nicht unbedingt politische Sieger aus. Dean
jedoch meint, dass die Äußerungen von Präsidenten, vor allem
wenn es um die nationale Sicherheit gehe, mit einer "Erwartung
an den höchsten Maßstab von Wahrheit" einhergehen. Das mag eine
Erwartung der Menschen sein, die in den Krieg geführt werden,
doch die Geschichte ist voll von Hinweisen, dass gerade dann
die Tatsachen gerne gestreckt und verdreht werden:
Ein Präsident kann nicht Tatsachen dehnen, verdrehen
oder vortäuschen und damit davon kommen. Präsident Lyndon
Johnsons Vortäuschung der Wahrheit über Vietnam nötigte
ihn, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen. Präsident
Richard Nixons falsche Behauptungen über Watergate erzwangen
seinen Rücktritt. |
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Viele Beispiele also führt Dean nicht ins Feld. Gleichwohl
können Konstellationen zustande kommen, in denen die verdrehten
Wahrheiten der Regierenden nicht mehr ankommen, weil die Wähler
ihre Folgen nicht mehr mittragen wollen. Aber Dean ist möglicherweise
selbst ein Beispiel dafür, wie man sich jetzt allmählich von
der Bush-Regierung absetzt, um nicht mit ihr schließlich in
den Orkus gezogen zuwerden. Er hoffe zwar, sagt er scheinheilig,
dass doch noch Massenvernichtungswaffen gefunden werden und
so die Wahrhaftigkeit der Regierung gesichert würde, zählt dann
aber schon mal viele der Tatsachenbehauptungen auf - beispielsweise:
"Das irakische Regime besitzt und produziert chemische und biologische
Waffen. Es will nukleare Waffen in seinen Besitz bringen." -,
die gegen Bush verwendet werden können, falls die Beweise nicht
herbeigebracht werden können. Das Fehlen jeder Erklärung für
die Kluft zwischen den Behauptungen und der Wirklichkeit würden
das Misstrauen stärken, dass die falschen Aussagen des Präsidenten
beabsichtige Lügen gewesen seien.
Dean führt aber auch ein Argument ein, dass für die künftige
Sicherheitsstrategie der Bush-Regierung wichtig ist, die auf
Prävention setzt. Die Einschätzung von möglichen Gefahren, denen
man präventiv begegnen müsse, ist abhängig von genauen Informationen
der Geheimdienste sowie von deren Verlässlichkeit ( Notfalls
auch mit militärischer Gewalt nach dem Exempel Irak). Das
Vertrauen in diese wird gerade jetzt wieder durch die Rückzugsgefechte
von Bush und Blair unterminiert, was dann aber auch die Folge
haben könnte, dass die amerikanischen Bürger, aber auch die
Alliierten späteren Gefahrenhinweisen keinen Glauben mehr schenken.