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Alles "Pi mal Daumen"?

Thorsten Stegemann   14.06.2003

Bonner Psychologen vermelden aufschlussreiche Erkenntnisse über das menschliche Entscheidungsvermögen

Auch wenn gelegentlich Zweifel aufkommen, ob sich der Mensch wirklich grundlegend von seinen evolutionsgeschichtlichen Vorfahren unterscheidet, kann ihm die prinzipielle Fähigkeit zum rationellen Denken kaum abgesprochen werden. Ob dieses Vermögen allerdings tatsächlich Einfluss auf seine Entscheidungsprozesse hat, ist in der Psychologie seit langem umstritten. Eine Studie des [External Link] Psychologischen Instituts der Universität Bonn, die im [External Link] Journal of Experimental Psychology veröffentlicht wurde, legt nun den Verdacht nahe, dass wir im Ernstfall immer wieder auf die sorgfältige Abwägung aller zur Verfügung stehenden Informationen verzichten und selbst weitreichende Entscheidungen nach dem Prinzip "Pi mal Daumen" treffen.

Die Bonner Forscher konfrontierten ihre Versuchspersonen mit einem verhältnismäßig komplizierten Kriminalfall: Im Swimmingpool liegt ein Toter und zehn eifersüchtige Ex-Freundinnen kommen als Täterinnen in Frage. Um die tatsächliche Mörderin zu ermitteln, müssen verschiedene Zeugenaussagen berücksichtigt werden. Fünf Personen haben eine Frau mit Hund gesehen, vier behaupten, diese Frau habe eine Jeansjacke getragen, drei erinnern sich an ein gelbes Shirt und eine schwarze Lederhose, und zwei können den Hund sogar als Dalmatiner identifizieren.

Das Forscherteam um Dr. Arndt Bröder ermittelte nun, dass sich die Probanden fast ausnahmslos für die sogenannte "take the best"-Strategie entschieden. Die Anzahl der übereinstimmenden Zeugenaussagen war offenbar von entscheidender Bedeutung für ihre Glaubwürdigkeit, so dass die Jeansjacken-Trägerin überdurchschnittlich häufig als Täterin verdächtigt wurde, auch wenn eine andere Variante aufgrund zusätzlicher Indizien als wahrscheinlicher angesehen werden musste. In den allermeisten Fällen machten die Probanden ihre Entscheidung also von der Information abhängig, die sie für die sicherste hielten und ließen andere (irritierende oder gar störende) Fakten dabei unberücksichtigt.

Um das Testergebnis zu optimieren, hatten die Psychologen eine virtuelle Umkleidekabine im Internet konstruiert, in der Frauen mit den genannten Kleidungsstücken und vierbeinigen Begleitern ausgestattet wurden. Die Probanden mussten sich anhand dieser Vorlagen das äußere Erscheinungsbild der zehn Tatverdächtigen einprägen, bevor sie sich mit den Zeugenaussagen beschäftigen durften. In die abschließende Wertung gingen dann nur die Ergebnisse derjenigen Testpersonen ein, die sich exakt an sämtliche Details erinnern konnten. Allerdings gaben die Psychologen ihren Mitspielern auch die Chance, sämtliche Informationen während der Entscheidungsphase noch einmal einzusehen. In diesen Fällen wurden zusätzliche Fakten sehr viel häufiger in die Entscheidungsfindung einbezogen, obwohl die Probanden sämtliche Details ohnehin auswendig gelernt hatten.

Arndt Bröder kommt nach diesen Ergebnissen zu einem Schluss, der zunächst nicht wirklich spektakulär klingt:


Es scheint mühsam zu sein, verschiedene Daten im Kopf miteinander zu verknüpfen. Deshalb orientieren wir uns an der Information, die uns am aussagekräftigsten erscheint, und fahren mit diesen Daumenregeln meist auch ganz gut.

Diese unscheinbare These kann trotzdem weitreichende Folgen haben, indem sie verschiedene, auf psychologische Erkenntnisse angewiesene Berufsfelder dazu drängt, einige vermeintliche Gesetzmäßigkeiten neu zu überdenken. Schließlich dürfte es für PR-Strategen, Wahlkampfmanager und viele andere einen entscheidenden Unterschied bedeuten, ob sie sich an durch und durch rationale, wenn auch komplex strukturierte Entscheidungsträger wenden, oder ob sie es mit Wesen zu tun haben, die Haltung und Verhalten an einigen wenigen Kerninformationen orientieren. Und überdies noch relativ leicht zu beeinflussen sind ...

Siehe auch:
Im Normalfall denkt der Mensch nicht ...

 


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last modified: 12.06.2003
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