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Kaffeefahrt mit Chlorellin

 

 

Die Einladung zur Kaffeefahrt nehme ich nur an, weil eine Hafenrundfahrt in Hamburg in Aussicht gestellt wird. Vorher will man mir noch schnell eine DVD-TV-Kombination und ein Geschenk im Wert von 248 Euro überreichen. Ausserdem bekomme ich einen reichhaltigen Korb voller Lebensmittel 'zum Mitnehmen'. Und hier steht es schwarz auf weiss: Es handelt sich nicht um eine Werbeveranstaltung. Einen Abschnitt weiter aber steht geschrieben: 'Achtung: Diese Werbung wird nicht wiederholt!'

Diesen Buchungsabschnitt schicke ich nach Hamburg und am 04. Juli holt mich ein Bus von www.jacobi-bus.de früh am Morgen ab. Der Bus ist pünktlich und bis auf den letzten Platz gefüllt. Mit wenigen Ausnahmen Leute über 65, alle mit den gleichen Stoffbeuteln, man kennt sich von den letzten Touren. Micha, der Busfahrer, erklärt uns nach der freundlichen Begrüssung als erstes, dass wir doch bitte die Toilette nicht benutzen sollen: Die Spülung funktioniert nicht. Die Leute in der Nähe der Toilette haben ab und zu einen strengen Geruch in der Nase. Passend dazu unterhält uns Micha mit anrüchigen Witzen, die weit unter der Gürtellinie angesiedelt sind. Zum Tagesablauf (Hafenrundfahrt?) sagt er nichts. Das aber stört niemanden, denn auf so einer Kaffeefahrt weiss man in der Regel nie, was in den nächsten 12 Stunden alles passieren und wieviel Geld man ausgeben wird.

Nach zwei Pinkelpausen landen wir gegen 9:30 Uhr in Büchen bei Hamburg. Die Waldhalle im Steinautal verfügt über einen grossen Saal. Nachdem noch ein zweiter Bus angekommen ist, sitzen dort 80 Rentner erwartungsvoll an vier Tischreihen. Die Gaststätte macht das Geschäft, ohne das sie in dieser schönen Waldlage schon längst Konkurs angemeldet hätte: Kaffee, Tee, Bier, Limonade, belegte Brötchen und Mittagessen. Der Saal wird mit Volksmusik beschallt und ein Videobeamer liefert die entsprechenden Bilder dazu.

Nachdem die Gaststätte den ersten Umsatz gemacht hat, begrüsst uns Sven mit seiner Assistentin. Beide in schwarz, beide um Seriosität bemüht und beide nicht auf den Mund gefallen. Sven, ein grosser, bulliger Rausschmeissertyp, macht es kurz, denn er hat nur die Aufgabe, die Leute für Thomas in Stimmung zu bringen und potentielle Störenfriede zu behandeln. Er wirft wahllos Geschenke in die Tischreihen: Duschgel, Parfüm und kleine Radios mit Ohrhörern. 'Aber bitte das Radio nicht gleich auspacken! Das macht Ihr dann lieber auf der Rückfahrt im Bus.' Die Batterien sind nämlich überlagert, das Radio funktioniert nicht.

Dann kommt Sven zur ersten Attraktion des Tages. Ein Fahrrad, extra konstruiert für Senioren: Ein ergonomisch verstellbarer Lenker, keine Querstange, damit man besser aufsteigen kann, ein höhenverstellbarer Sattel, eine Rücktrittbremse und der Clou: Ein Fahrrad mit Leichttreteinrichtung! 'Früher hatte man an den Fahrrädern ja diese Gangschaltungen mit den vielen kleinen Hebeln. Die konnte man so schlecht bedienen und ausserdem machte man sich oft an der schmutzigen Kette die Finger dreckig. Jetzt haben moderne Fahrräder eine Leichttreteinrichtung: Keine Hebel, keine Probleme, alles funktioniert automatisch und sogar ein Senior kann damit mühelos bergauf fahren. Da unten am Tretlager, dieses kleine Zahnrad, sehen Sie das? Da sitzt die Leichttreteinrichtung! Es gibt nur ein Problem: Durch die Leichttreteinrichtung fährt das Fahrrad nicht schneller als 28 Km/h. Bergab kann man natürlich 100 Km/h fahren, aber bergauf nur maximal 28 Km/h. Aber für Senioren reicht das ja dicke aus, nicht wahr?!' 'Ja!' rufen die Rentner, die mit Sicherheit in ihrem Leben alle schon auf einem Fahrrad gesessen haben. Aber keinem fällt etwas auf: Das Fahrrad hat keine Gangschaltung und die Leichttreteinrichtung ist die Erfindung von Sven: Eine glatte Lüge. Das Fahrrad mit der sensationellen Leichttreteinrichtung soll 550 Euro kosten. Es wird später nicht noch einmal erwähnt und es ist unklar, wozu das Fahrrad auf der Bühne steht. Den Umsatz macht der medizinische Thomas, da kann man locker auf die Leichttreteinrichtung verzichten.

Nach einer Pause, in der wieder Kaffee und Brötchen bestellt werden können, tritt Thomas in Aktion. Thomas im dunklen Anzug mit Krawatte, Dreitagesbart, lange, dunkle und lockige Haare, schlank. Ein Mann in den besten Jahren mit unschuldig wirkender Sekretärin, redegewandt und routiniert in diesem Geschäft am Rande der Legalität.

'Sie kennen doch alle SPIEGEL-TV?! Im vorigen Jahr wurde dort ein Bericht gesendet, danach konnte sich der Sender vor Telefonanrufen nicht mehr retten. Die Anrufer verlangten die Wiederholung der Sendung. Das hat der Sender nicht gemacht. Deswegen haben wir Sie heute eingeladen und ich führe ihnen gleich diese Sendung von SPIEGEL-TV hier noch einmal vor. Nur am Montag mache ich das, denn sonst arbeite ich ja in der Klinik in Hamburg. In dieser Sendung von SPIEGEL-TV war Prof. Arthur Bruns zu Gast. Er hat das Protein Chlorellin entdeckt, das in jeder unserer Körperzellen vorhanden sein muss. Aber es wird vom Körper abgebaut und nicht ersetzt, dadurch altern wir. Je weniger Chlorellin, desto älter der Mensch. Chlorellin kann man als Medizin nicht einnehmen, der Körper nimmt es nicht auf. Prof. Bruns aber hat entdeckt, wie man aus einer ganz speziellen Algensorte Chlorellin gewinnen kann, das von den Körperzellen aufgenommen wird. Dafür hat Prof. Bruns zweimal den Nobelpreis erhalten. In Amerika und in Japan kann man das Medikament Lypramed schon kaufen. Natürlich ist es sehr teuer, 2.275 Euro. Trotz der Zweiklassenmedizin in Deutschland, ist es hier noch nicht zu haben, der Import ist verboten. Erst ab Oktober wird es auch in Deutschland verfügbar sein. Jetzt aufgepasst! Kein Arzt wird es Ihnen verschreiben, denn die Bundesregierung hat durchgesetzt, dass immer nur das billigste Medikament verschrieben wird. Lypramed ist nicht gerade billig und deswegen wird es bei den Ärzten auf der schwarzen Liste landen. Es ist nicht rezeptpflichtig, aber man wird es im Herbst nur über die Apotheken bekommen. Und es wird sehr teuer sein, 2.275 Euro für eine Kur. Das können sich in unserem Zweiklassensystem nur die Reichen leisten.'

Wieder zu Hause forsche ich im Internet nach Chlorellin, Lypramed und dem zweifachen Nobelpreisträger Prof. Bruns. Ich will die Grössenordnung der Lügen von Thomas abschätzen: Zu Chlorellin liefert Google Aussagen wie diese: "Die Chlorella-Alge enthält ein natürliches Antibiotikum (Chlorellin) ... Zur Entgiftung / Entschlackung / Nahrungsergänzung. Im Bioladen oder in der Apotheke erhältlich: ... ca. 600 Presslinge a. 200 mg für 29.- Euro" ... Kein einziger Treffer wird für die Stichworte 'Nobelpreis Prof. A. Bruns' und 'Chlorellin Lypramed Bruns' gefunden. Auf ein einziges Dokument verweisen die Suchworte 'Lypramed Chlorellin Protein': www.gewinnbriefe.de "... und der Clou war der Verkauf von Lypramed Chlorellin Protein zum Preis von 2.275 €, gestern im 'Angebot' für 1.698 €!" Zur Molekularbiologie des Alterungsprozesses wird intensiv geforscht. Eine Übersicht liefert dazu der Artikel 'Die Abschaffung des Sterbens' in DER SPIEGEL 30/2005. Chlorellin spielt dabei keine Rolle. Offenbar haben bisher alle Forscher dieses Protein übersehen ...!

Die angebliche Sendung von SPIEGEL-TV wird nicht vorgeführt. Dafür steuert die Sekretärin über den Beamer Bilder und Texte ein, mit denen Thomas die menschlichen Körperzellen, das Chlorellin und die Funktionsweise des Gehirns erklärt. Inzwischen redet er von der einzigen Nebenwirkung des Chlorellins: 'Chlorellin baut das Körperfett ab. Ob man es will oder nicht, man nimmt bis zu 30 Kilo ab. Also nicht der drahtige Typ, der sowieso kein Fett am Bauch hat. Ich nehme natürlich auch Chlorellin, aber ich war nie richtig dick. Trotzdem fragen mich alle meine Bekannten immer wieder, ob ich jetzt regelmässig ins Fitnessstudio gehe, weil ich so schlank und gesund aussehe! Und jetzt aufgepasst! Man kann es leider nicht vermeiden: Mit dieser Kur wird das Übergewicht stark reduziert.'

Jetzt ist die Zeit für eine grosse Überraschung gekommen: 'Vier oder fünf Herrschaften werden auch heute wieder überrascht. Die anderen dürfen nicht böse sein, wenn sie diese Riesenüberraschung diesmal nicht bekommen. Es wird zufällig ausgewählt und jeder ist mal dran. Nehmen wir einen jüngeren und diesen Herrn dort. Bitte nehmen Sie Ihre Sachen mit, vor dem Mittagessen werden Sie nicht zurück sein!' Ein junger Mann wird ausgewählt, auch in den besten Jahren, der mit seinem 10-jährigen Sohn und seiner Frau angereist ist. Und mich hat es getroffen. Ich denke mir nichts dabei und spiele mit. Leider.

Sven, der Rausschmeisser, instruiert uns draussen in der Gaststätte: 'Wir machen jedes Mal bei solchen Veranstaltungen auch Marktforschung. Bitte schreiben Sie möglichst ausführlich ihren Tagesablauf auf und unterstreichen Sie rot alle Markennamen, die ihnen täglich begegnen.' Als ich nach 20 Minuten wieder in den Saal gehe, werde ich von Sven hinauskomplimentiert, bevor ich meinen Stuhl wieder erreicht habe. Er übergibt mich seiner Sekretärin und sie erklärt mir treuherzig, dass im Saal eine grosse Überraschung für mich vorbereitet wird. Es wäre doch keine Überraschung mehr, wenn ich sie vorher schon erfahren würde. Ich frage, wie lange ich spazieren gehen kann: 'So gegen 13:30 Uhr gibt es Mittagessen, dann können Sie wieder da sein.' Auch der Vater von dem munteren Knaben, mit dem ich draussen am Tisch die Marktforschung betrieben habe, darf nicht mehr in den Saal zurück: Grosse Überraschung!

Mir fällt nichts auf und es stört mich wenig, dass ich nicht mehr über Chlorellin und den zweifachen Nobelpreisträger Prof. Bruns erfahre. Büchen liegt in einer eiszeitlichen Moränenlandschaft, Hügel, Täler, Buchenwald, Seen und weite Felder. Die Sonne scheint, ein leichter Wind. Ich gehe knapp zwei Stunden mit Wonne in dieser schönen Landschaft spazieren. Zwei Stunden, in denen der angebliche Dr. Thomas XX aus Hamburg 52 Rentnern aus Berlin ein Kurpaket Lypramed/Chlorellin zum Preis von 1.198 Euro verkauft. Gleich nachdem der Vater mit mir den Saal verlassen hat, spendiert der lockere Thomas seinem Sohn ein Eis, damit auch er mit seiner Mutter den Saal verlässt. Als das Eis aufgegessen ist und die Mutter mit dem Knaben wieder in den Saal zurück will, wird sie von Svens Sekretärin daran gehindert: 'Jetzt geht es um blutige Herzoperationen und um komplizierte, medizinische Details, das wollen Sie doch ihrem Sohn nicht etwa zumuten?!'.

Nach dem Mittagessen - Bratwurst, ein Löffel Kartoffelbrei und Sauerkraut für 5,50 Euro - werden die kleinen Abschnitte eingesammelt, auf denen steht, was wir für leckere Sachen 'zum Mitnehmen' bekommen. Auch die Einladungen werden zur Bühne durchgereicht, sie werden für ein Gewinnspiel benötigt. Hier fällt mir endlich mal wieder etwas auf: Alle schriftlichen Belege werden eingesammelt, damit hinterher niemand beweisen kann, was auf der Einladung stand. Dann ruft Thomas Namen auf und 50 Prozent der Anwesenden gewinnen eine Busreise nach Prag: 'Von so einem Angebot haben Sie noch niemals gehört! Wetten Dass ...?! Und so ein Angebot wird es auch nie wieder geben: Jetzt aufgepasst! Fast eine Woche nach Prag, der schönsten Stadt der Welt. Ein Hotel mitten in der Stadt, Sie sehen die Karlsbrücke, die Moldau, den Hradschin und Sie besichtigen die vielen anderen Sehenswürdigkeiten. Nein, diese Reise kostet nicht, wie es hier geschrieben steht, 299 Euro. Nur 49,49 Euro für diese tolle Reise! Aber das Beste kommt ja noch: Der Fremdenverkehrsverein Berlin-Prag möchte, dass Sie Fotos von dieser schönen Reise schiessen, Schnappschüsse. Nein, nicht mit ihrer alten Kamera sollen Sie Bilder machen. Heute fotografiert man digital. Aber wer hat schon eine Digitalcamera?! Der Fremdenverkehrsverein ist reich, er kann es sich leisten, Ihnen eine Digitalkamera ... zu schenken!!! Unglaublich! Von so einem Angebot haben Sie noch nie gehört, oder ???!'

Wer die Reise gewonnen hat und sofort 30 Euro 'Verwaltungsgebühr' bezahlt, dem werden die Reiseunterlagen zugeschickt. Reisetermine: Ende November oder Anfang Dezember, die flaueste Reisezeit des Jahres. Aus dem Reiseprospekt, den nur die Gewinner erhalten und der beim Bezahlen auch wieder eingesammelt wird, geht nicht hervor, in welchem Hotel man drei Tage absteigt und ob wenigstens das Frühstück inklusive ist. Deutlich aber ist der rot unterlegte Hinweis zu lesen: GELEGENHEIT zur Besichtigung aller Sehenswürdigkeiten! Nicht einmal eine kurze Stadtrundfahrt ist inklusive. Das aber wird alles durch die Digitalcamera aufgewogen, die mit der Verwaltungsgebühr verschenkt wird: TDC15, MiniCam 100K, hochauflösender Modus HQ 352 x 288 Pixel inclusive USB-Kabel. Made in China, Plastik, Verkaufspreis auf dem Hamburger Fischmarkt: 2,22 Euro, Gebrauchswert Null. Auch ich habe die Reise mit der wunderbaren Digitalcamera gewonnen, aber ich verzichte grossmütig zu Gunsten derer, die keine Reise gewonnen haben. Andere buchen meine zurückgegebene Reise und lassen sich beglückt die Digitalcamera schenken.

Vierzig Leute zahlen 30 Euro und werden mit der supertollen Digitalkamera nach Prag fahren. Alle werden zum Abschied mit dem Lebensmittelpaket zum Mitnehmen noch einmal richtig glücklich gemacht: Eine Tüte Kartoffelchips, ein Päckchen Kekse, ein Liter Apfelsaft, eine Tüte mit Nudeln und eine kleine Tafel Schokolade. Angekündigt waren ein völlig anders Sortiment und grössere Mengen. Aber das kann jetzt niemand mehr einklagen, die schriftliche Ankündigung, mit der das zu beweisen wäre, wurde eingesammelt.

Schon vor der Abfahrt war mir klar: Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gross, dass die Hafenrundfahrt in Hamburg tatsächlich stattfinden wird. Bei Kaffeefahrten wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Es hätte die schlitzohrigen Showmaster ein müdes Lächeln und nur eine billige Ausrede gekostet (Dampfer kaputt ...), und wir wären nach der profitablen Werbeshow gleich wieder nach Berlin kutschiert worden. Aber mit mehr als 60.000 Euro Umsatz (!!) können es sich die erfolgreichen Veranstalter locker leisten, uns eine Hafenrundfahrt zu spendieren: Erwachsene 9 Euro, Kinder die Hälfte und für Grosskunden fährt der Dampfer umsonst. Der Umsatz an der Kaffeebar und in der Gaststätte deckt die Kosten mehrfach.

Wir fahren also tatsächlich zu den Landungsbrücken nach Hamburg St. Pauli und stechen um 16:30 Uhr mit dem Schaufelraddampfer Kapitän Prüsse in See. Fast zwei Stunden Hafenrundfahrt bei tief stehender Sonne und herrlichem Wetter. Hier auf dem Schiff unterhalte ich mich mit dem Vater des 10-jährigen Knaben über unsere ausgebliebene Riesenüberraschung. Dafür haben wir ja sogar gearbeitet und zu Gunsten einer noch grösseren Überraschung auf das Wundermittel Chlorellin verzichtet! Beide ärgern wir uns, dass wir am Schluss nicht wenigstens nach der ausstehenden Bescherung gefragt haben. Aber dafür waren wir wohl zu gut erzogen. Diesen Rattenfängern waren wir nicht annähernd gewachsen, weil wir zu blauäugig und zu unaufmerksam waren. Als Gutmensch kann man sich einfach nicht vorstellen, mit welchen fiesen Manipulationen ahnungslosen und armen Leuten auf so einer Kaffeefahrt das Geld aus der Tasche gezogen wird.

Erst bei der Hafenrundfahrt wird mir klar, was das für ein ausgebuffter Trick war: Die Leute, die den hellsten Eindruck machten (und die beide noch dazu mit einer Digitalkamera spielten ...!!) mussten unter einem Vorwand von der einlullenden Show ferngehalten werden. Die pseudowissenschaftliche Argumentation war auf den Bauch willensschwacher, ungebildeter Menschen ausgerichtet. Die Schwindler arbeiteten mit raffinierten psychologischen Methoden. Erst verunsicherten sie die Leute, um sie anschliessend mit dem Wundermittel Chlorellin zu retten, verbilligt um fast 50 Prozent. Wenn während ihrer Seelenmassage jemand aufstehen und die Argumentation in Zweifel ziehen würde (... noch nie habe ich gehört, dass jemand gleich zweimal den Nobelpreis bekommen hat ...!), ist sofort der suggestive Effekt dahin. Niemals würden 52 von 80 Menschen bei klarem Verstand am Mittag 1.200 Euro für ein Wundermittel ausgeben, von dem sie bis zum zweiten Frühstück noch nie etwas gehört haben. Zur Sicherung dieses lukrativen Geschäfts muss deshalb jede Störung schon im Ansatz unterbunden und alles unternommen werden, dass die Benebelung so lange wirkt, bis der Vertrag unterschrieben und die Widerrufszeit abgelaufen ist. Vielleicht wollen 20 Prozent der Kunden widerrufen, wenn sie zu Hause und wieder bei Sinnen sind. Aber auch dann werden die meisten stillschweigend bezahlen und den Vertrag nicht anfechten. Aus Scham, wegen der Komplikationen und '... weil es ja vielleicht doch wirken tut.'

Der hochstapelnde Dr. Thomas hat ganze Arbeit geleistet. Meine Busnachbarin (72, wir kennen uns, sie wohnt in meiner Nachbarschaft) erzählte mir auf dem Weg zur Hafenrundfahrt ganz begeistert, dass der Herr Doktor ja soviel wusste, von dem sie noch nie etwas gehört hat und dass er alles ganz genau, trotzdem aber verständlich, erklärt hat. Sie ist von seinem Fachwissen tief beeindruckt. Und sie ist froh, dass ihr dieser Doktor heute über den Weg gelaufen ist, denn jetzt wird ihr Alterungsprozess aufgehalten und endlich - nach so vielen erfolglosen Diäten! - wird sie das überflüssige Fett los werden! Das Sahnehäubchen dieses glücklichen Tages aber ist für die alte Dame die Digitalkamera. Davon versteht sie zwar nichts und sie wird es wohl in ihrem Leben auch nicht mehr kapieren. Aber was für ein unbegreifliches Glück, dass sie so ein technisches Wunderwerk heute mit der Reise nach Prag geschenkt bekommen hat! Da wird ihr Sohn aber Augen machen, wenn sie ihm die Digitalcamera am Wochenende zum Geburtstag schenkt. Endlich haben Sohn und Enkel jetzt die neueste Technik in den Händen. Schon lange wollte sich Ihr Sohn eine Digitalcamera kaufen. Dieses Geld kann er sich jetzt sparen!

Ein rund herum gelungener und erfolgreicher Tag geht mit Michas schmutzigen Witzen zu Ende. Locker können wir unter diesen Umständen die strengen Düfte ignorieren, die aus der Bustoilette wehen, denn gleich kann das neue Parfüm aus der Sprühflasche zum Einsatz kommen. Alles geschenkt!

So eine schöne Kaffeefahrt!
H
offentlich flattert bald die nächste Einladung ins Haus.

 


 


Die Bio-Kaffeefahrt (Auszug)

Kopie vom WDR FERNSEHEN
Sendung vom 16. Dezember 2004


Rechtliche Hintergründe:

www.ratgeberrecht.de/index/is02484.html
www.verbrauchernews.de/...
www.gewinnbriefe.de
www.hr-online.de/website/rubriken/...
www.jur-abc.de/661/kaffee.htm
www.verbraucherzentrale-bayern.de/...
www.ratgeberrecht.de/...

Ein interessanter Erfahrungsbericht:

www.storyal.de/story1995/kaffee03.htm

Tipps zu Kaffeefahrten:

  • Erst gar nicht mitfahren und solche Post im Briefkasten ignorieren!
  • Auch die versprochenen Geschenke sollten einen nicht dazu verleiten, an diesen Fahrten teilzunehmen.
  • Für Seniorinnen und Senioren veranstalten die unterschiedlichsten Institutionen (Kirche, Wohlfahrtsverbände, Reisebüros) Ausflüge mit dem Bus für kleines Geld.
  • Wer auf einer solchen Kaffeefahrt eine Magnetmatte bestellt hat, und diese soll dann einige Tage später nach Hause geliefert und gegen Bezahlung ausgehändigt werden, der verweigert am besten die Annahme, so der Tipp von der Verbraucherzentrale NRW. Normalerweise muss man zwar die Ware erst annehmen und kann dann innerhalb von 14 Tagen widerrufen, aber bei einer solchen Kaffeefahrt und wenn nicht klar ist, wer überhaupt der Veranstalter und Absender ist, bleibt es fraglich, ob man auf diesem Wege sein Geld zurückbekommt.

 

 

Jürgen Albrecht, 09. Juli 2005
update 05.11.2007

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