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Kaffeefahrt mit Fischers Fritz
   

Fischers Fritz lädt mich herzlichst ein

Einladung Fischers Fritz

 

Bargeld

 

Mit dieser Einladung und Gutscheinen wird folgendes schriftlich zugesagt:

  • Eine kostenlose Halbtagsfahrt
  • Ein kostenloses Mittagessen, 3 Gerichte zur Auswahl
  • Offeriert wird ein Farb-Fernseher
  • 109,80 Euro werden in bar ausgezahlt
  • Eine Bügelstation für alle Ehepaare
  • Geschenke und Prämien sind abzuholen
  • Ein Wertgeschenk in Höhe von 300 Euro wird überreicht
  • Ein Lebensmittelpaket, kostenlos für jeden Gast zum Mitnehmen

 

Nur der Kunde ist auch Gast

Einundachtzig Gäste wurden mit zwei Bussen von Berlin (Ost!) nach Marzahna bei Wittenberg gefahren und sitzen gegen 10 Uhr im Saal des Dorfgasthofes zur goldenen Krone. Bevor die Gäste Platz nehmen dürfen, werden die Einladungen und alle dazugehörigen Unterlagen eingesammelt, damit niemand mehr die Versprechen mit der Realität vergleichen kann. Dann redet Reinhold, der 'Werbefritze', ständig davon, dass die vielen Geschenke, die an der Stirnwand des Saales aufgebaut sind, gleich verschenkt werden: DVD-Rekorder, Fussbäder, Staubsauger, Massagesessel, Oberbetten und Stereoanlagen. Dinge, die jeder Teilnehmer mit Sicherheit bereits zu Hause hat. Schnell kommt Reinhold zum Haken bei den vielen Geschenken: Nur wer etwas kauft, erwirbt damit das Anrecht, ein Geschenk zu erhalten. Das schliesst auch das Lebensmittelpaket ein: Nur ein Käufer ist auch ein guter Gast. Wer nichts kauft, wird als 'Profi-Kaffeefahrer' diffamiert und im weiteren Verlauf der Veranstaltung ignoriert. Verkauft werden drei Artikel: Ein Waschmittel für Wolle, eine rote Salbe und eine Wohltat für den ganzen Körper nach dem Bad: Pedi-eMOLsion. Einkaufswert pro Artikel ca. 2 Euro. Hier kostet dieser Artikel einzeln ca. 18 Euro, im Doppelpack aber 'nur' 25 Euro. Vierzig Gäste und zwölf Ehepaare werden zu Kunden und investieren 25 Euro um auf einem Zettel (Name, Anschrift usw.) ihr Wunschgeschenk notieren zu können. Zehn weitere Gäste kaufen eine Schwarzwaldreise ohne Zielort und Datum: Drei Übernachtungen für 150 Euro.

Die Zusagen der Einladung werden wie folgt eingehalten:

  • Wer hier eingeladen hat, bleibt unklar,
    ausser einem Postfach existiert keine Adresse
  • Die Halbtagsfahrt ist kostenlos
  • Das minimale Mittagessen: Ein grosser Löffel Kartoffelbrei, ein kleiner Löffel Sauerkraut, ein kleines Schnitzel. Keine Gerichte zur Auswahl aber kostenlos, da kann man nicht meckern.
  • Der offerierte Farb-Fernseher wird nur einmal am Rande erwähnt
  • Von 109,80 Euro ist keine Rede, sie werden auch nicht einmal an einen Gast ausgezahlt
  • Alle Ehepaare erhalten ein Bügeleisen
  • Über Geschenken wird viel geredet, aber ein Wertgeschenk in Höhe von 300 Euro wird nicht einem Gast überreicht
  • Verschenkt werden einige Teddybären, Puppen, Messer und einmal eine Bettdecke.
  • Nur Kunden erhalten einen Beutel mit Lebensmitteln. Menge und Sortierung entsprechen nicht annähernd der Ankündigung

 

Bauernfänger in Aktion

Nach einer Pause tritt Wolfgang, der angebliche Bruder von Reinhold in Aktion. Wolfgang Amadeus, 2,04 Meter gross. Nach ein paar Witzen unter der Gürtellinie kommt er zur Sache: Wir machen ein Spiel:
1. Schritt:
Sie vertrauen mir und lassen sich auf mein Spiel ein: Sie unterschreiben einen Kaufvertrag für das Geschenk, das Sie sich ausgesucht haben. Preis für das Geschenk: 50 Euro. Fast geschenkt!
2. Schritt:
Nach einer Pause zerreisse ich den Vertrag und sie bekommen ihr Geschenk kostenlos zum Mitnehmen.
Das Risiko bei diesem Spiel: Glauben Sie mir, dass ich meine Zusage einhalte?!

Ungefähr 90 Prozent aller Kunden lassen sich auf dieses Spiel ein. In der Pause werden Verträge mit METRO an zwei Tischen im Saal und in einem Büro ausgehandelt und unterschrieben: Blanco-Verträge ohne Gegenstand und Preis, aber mit Name, Anschrift, Personalausweis-Nummer und Unterschrift, zwei Durchschläge.

Nach der Pause teilt Reinhold gegen 14:30 Uhr mit: Zweiundzwanzig gute Gäste, Kunden, haben uns vertraut. Wir haben das Programm etwas umgestellt: Wir überreichen jetzt diesen ausgewählten Kunden ihre kostenlosen Geschenke in einer speziellen Weihnachtsfeier. Alle anderen können jetzt in die Busse steigen. Ein Bus fährt direkt nach Berlin, der andere Bus macht erst noch einen Ausflug nach Wittenberg und holt danach hier unsere speziellen Gäste mit ihren kostenlosen Geschenken ab.

Was in den nächsten zwei Stunden mit denen angestellt wird, die bereits Kaufverträge blanco unterschrieben haben, geschieht unter Ausschluss der anderen Kaffeefahrt-Teilnehmer. Von dem offerierten Farb-TV war in den vergangenen Stunden nur einmal kurz die Rede. Flachbildfernseher kann man in einem Preisspektrum von 300 bis 4.000 Euro kaufen. Damit lassen sich hervorragend Geschäfte machen. In den METRO-Kaufvertrag ist bereits gross eingedruckt: Transport und Lieferung kostenlos. Wer einen Fernseher kauft, bekommt auch sein Wunschgeschenk tatsächlich geschenkt. 20 bis 30 Euro weniger Profit sind leicht zu verschmerzen.

 

Facit

Mich hat diese Kaffeefahrt einen Euro für einen (mittelmässigen) Kaffee gekostet. So eine Kaffeefahrt ist wie ein Theaterbesuch: Jedesmal wird ein trickreiches Lehrstück über die menschliche Gier und Dummheit gegeben. Ich hätte deswegen auch problemlos 20 Euro für das Ticket bezahlt. Die Schauspieler agierten unter dem sonst üblichen Niveau, ihren Trick aber kannte ich noch nicht.

Sind Lügen strafbar? Nicht generell. Ist diese Verkaufsmasche legal? Zweifelhaft. Reinhold hat mehrfach betont: Niemand wird hier zum Kaufen gezwungen. Recht hat er. Und kein Staat ist verpflichtet, seine Bürger vor der eigenen Dummheit zu schützen.

 

Akteure
Die Akteure vor dem Gasthof, links ein Busfahrer - (bewusst unkenntlich gemacht)

 

Gasthof goldene Krone Marzahna
Gasthof zur goldenen Krone in Marzahna

 

Jürgen Albrecht, 22. November 2007
update: 16.12.2007

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