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Synthetische Biologie
Stand und Perspektiven
   
Zwei Richtungen der Synthetischen Biologie

Bis vor einigen Jahren verdiente die Synthetischen Biologie diesen Namen nicht. Craig Venter dominierte diese Fachdisziplin und als geübter Selbstdarsteller dominierte er auch die Medien. Bei ihm aber geht es nicht um künstliches, synthetisiertes Leben, sondern um die Manipulation vorhandenen Lebens. Das hat sich inzwischen tatsächlich geändert.

Heute gibt es in der Synthetischen Biologie zwei deutlich unterschiedliche Richtungen: Einmal ist man mit immer besseren und schnelleren Methoden bemüht, vorhandenes Leben zu manipulieren, zu modifizieren und umzuprogrammieren. Beispiel: Craig Venter.

Anderen Wissenschaftlern (Marcus Graf, Jay Keasling und Drew Endy) aber ist es tatsächlich gelungen, Genabschnitte (Nukleotide) synthetisch herzustellen. Dazu werden in der Struktur/Sprache, in der die Erbinformation DNA = DNS codiert ist, Proteine aus den Elementen O, N, H und P synthetisiert. Dass das technisch möglich ist und dass mehrere Proteine zu einer Nukleinsäure (ein langes Kettenmolekül, ein Polymer) verbunden werden können, ist ein Qualitätssprung, der die Herstellung synthetischen Lebens in den Bereich der Möglichkeit rückt.

Eine in dieser Technologie weltweit führenden Firmen arbeitet in Deutschland: Die Firma GENEART (Marcus Graf) in Regensburg.
Der aktuelle SPIEGEL 1/2009 hat zur Synthetischen Biologie einen fundierten Artikel veröffentlicht [ 1 ].

 

Die Sprache der DNA

Im Normalzustand ist die DNA in Form einer Doppelhelix organisiert. Chemisch gesehen handelt es sich um eine Nukleinsäure, ein langes Kettenmolekül (Polymer), bestehend aus Einzelstücken, sogenannten Nukleotiden. Jedes Nukleotid besteht aus einem Phosphat-Rest, einem Zucker und einer von vier organischen Basen mit den Kürzeln ATG und C. Innerhalb der Protein-codierenden Gene legt die Abfolge der Basen die Abfolge der Aminosäuren des jeweiligen Proteins (Makromolekül) fest: Im genetischen Code stehen jeweils drei Basen für eine bestimmte Aminosäure. Siehe Bild: Mehr ...

 

Struktur der DNA

DNA-Ausschnitt - Struktur eines Proteins - Ein Gen

 

Ein Protein besteht aus den vier Elementen O, H, N und P. Diese Elemente existieren aber immer nur als Verbindungen in Form von vier Basen und einem Phosphat-Rest. Damit besteht das DNA-Alphabet aus den Buchstaben A, T, G, C und P. Ist man in der Lage, mit diesem Alphabet "zu schreiben", kann man beliebige Proteine synthetisieren. Gelingt es dann auch noch, diese Proteine (Gene) zu einem beliebigen, komplexen Genom zusammenzubauen, kann man tatsächlich Leben synthetisieren.

Heute ist man im Besitz dieser Technologie. Allerdings steht die Synthetische Biologie noch ganz am Anfang. Sie hat - vereinfacht gesagt - die Buchstaben des DNA-Alphabets erkannt und kann sie schreiben. Die Sprache und die Grammatik der DNA (und damit des Lebens) aber ist noch längst nicht verstanden. Dazu kommt noch das schier unüberwindlich erscheinende Problem der unübersehbaren Komplexität eines einzelnen Genoms. Einen Eindruck von dieser Komplexität vermittelt die Tatsache, dass bereits das Genom eines einfachsten Bakteriums aus  mindestens 800.000 Genbuchstaben A, T, G, C und P besteht ...!!

Craig Venter zeigte im Jahr 2008, was heute technisch möglich ist: Aus einzelnen Proteinen setzte er sämtliche 582.970 Basenpaare des Bakteriums Mycoplasma zusammen. Aber dieses künstliche Erbgut, verpflanzt in ein natürliches Bakterium, funktionierte nicht, es wurde als künstlich erkannt und abgestossen. Ein klarer Hinweis darauf, dass man zwar schreiben kann, aber weder die Sprache noch die Grammatik beherrscht.

 

Spezialproblem "immanente Eigenschaften"

Einige Funktionen werden heute als "inhärente oder immanente" Eigenschaften einer lebenden Zelle bezeichnet. Beispielsweise die Fortpflanzungsfähigkeit, die Alterung oder die zielgerichteten Aktionen der Zelle, die zur Aufrechterhaltung des Stoffwechsels erforderlich sind. Diese Funktionen sind untrennbar mit der lebenden Zelle "verschränkt", man weiss aber höchstens erst in Ansätzen, ob und wie diese Funktionen direkt als Gene programmiert oder in der "Grammatik" der DNA codiert sind. Der Ausdruck "immanente" Eigenschaften der lebenden Zelle ist nur eine Hilfskonstruktion. In Wirklichkeit besagt er, dass unklar ist, wie sich diese Funktionen in der DNA manifestieren.

Klar ist aber eines: Diese "immanenten" Eigenschaften sind real existierende Funktionen und sie sind fundamentale Kennzeichen von Lebewesen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie im Programmcode der DNA enthalten, aber noch nicht erkannt sind.

Wie aber und wo kann ein Qualitätssprung codiert sein?! Beispielsweise der Umschlag von toter zu lebender Materie ...!? (s.u.)

 

Leben aus dem Baukasten

Am radikalsten versucht Drew Endy, Stanford University, neues Leben zu schaffen. Sein Ansatz: Leben aus Protein-Bausteinen wie beim Lego-System zusammenzubauen. Zur Zeit ist er mit der Isolierung der Bausteine beschäftigt und er hat schon 3500 in einem Katalog zusammengetragen: Lichtdetektoren, Giftsensoren, Rezeptoren für Sprengstoff, genetische Steuereinheiten und Schalter, Enzyme, Lockbefehle und Signalstoffe für die Bakterienkommunikation. All das und mehr findet sich in seinem Katalog, eine Sammlung natürlicher Schöpfungsideen.

Ungelöst aber ist die Synthese dieser Bausteine zu einem Lebewesen, denn hier steht man wieder vor dem Problem der grammatikalisch exakten Codierung und der unüberwindlich scheinenden Mauer der Komplexität.

 

Leben ist nur eine chemische Reaktion ...

Ein Aspekt ist bei der Synthetischen Biologie besonders interessant: Der Umschlag von leblosen Proteinen zu Lebewesen ist offenbar tatsächlich „nur“ ein Umschlag von Quantität in Qualität. Leben ist eine Frage der Komplexität. Ist man in der Lage, eine Million Genbuchstaben in der richtigen Sprache und Grammatik zu schreiben, entsteht künstliches Leben. Ohne göttliches Zutun, einfach so. Ein exemplarischer Fall eines Qualitätssprungs.

Leben bedeutet nach Steen Rasmussen: „Nur drei Eigenschaften sind es, die Leben zu Leben machen: Es pflanzt sich fort, es hat einen Stoffwechsel (und muss deshalb in der Lage sein, mit seiner Umgebung zu interagieren), und es bildet nach aussen abgeschlossene Gebilde.“ [ 2 ] Fast alle Wissenschaftler sind sich heute einig, dass Leben nichts anderes ist, als eine äusserst komplexe, chemische Reaktion! Gott wird dazu nicht gebraucht. Es ist die Komplexität, die Leben zu Leben macht und die der Mensch in vielen Bereichen seines Daseins nicht beherrscht.

 

Sind Lebewesen Automaten?

Was ist der Unterschied zwischen Leben und unbelebter Natur? Diese Frage ist relativ einfach zu beantworten, weil ein eindeutiger Unterschied festzustellen ist: Im Universum scheint ein Dualismus von belebter und unbelebter Natur mit gegenläufigen Entwicklungszielen zu existieren. Die unbelebte Natur ist primär und strebt dem Entropietod entgegen indem sie versucht, jedes Potential auszugleichen. Das Leben versucht mit allen Mitteln, der unbelebten Natur mit gegenteiligen Zielen zu folgen: Unter allen möglichen Umständen minimale Entropie und maximale Komplexität zu erreichen. 

Was aber ist Leben? Diese Frage ist nicht eineindeutig zu beantworten. Es kommt auf den Standpunkt an. Die Religionen haben sich schnell festgelegt: Am sechsten Tag sprach Gott: "Lasst uns den Menschen machen nach unserem Bilde ..." Ich neige eher dazu, dass der Mensch Gott nach seinem Bilde schuf, um einen allwissenden Partner zu haben, der in der Lage ist, seine vielen, offenen Fragen zu beantworten.

Aber auch aus naturwissenschaftlicher Sicht ist die Frage was Leben ist, nicht eindeutig und nur schwer zu beantworten. Es fehlt uns der Bezug. Womit lässt sich Leben vergleichen? Welche Lebensformen existieren im Universum? Man kann das organische Material beschreiben, aus dem Leben besteht, man kann die Eigenschaften beschreiben, die ein Lebewesen kennzeichnen. Aber was ist Leben? Was hat es für einen Sinn?

Meine, natürlich subjektive Sicht der Dinge, beschreibt Lebewesen als Automaten. Lebewesen agieren autonom, aber innerhalb klar festgelegter Grenzen. Genau so funktionieren auch technische Automaten. Aber wie bei technischen Automaten gilt auch für Lebewesen: Je komplexer das Lebewesen, desto grösser sein Aktionsradius und die Freiheit, in seiner Umwelt zu agieren.

Ein Sinn des Lebens ist nicht erkennbar. Nicht verwunderlich, denn auch der Sinn des gesamten Universums bleibt uns verschlossen. Mehr zu natürlichen Automaten ...

 

Die Entstehung des Lebens

Es gibt heute noch keine schlüssige, wissenschaftliche Erklärung dafür, wie Leben entstanden ist. Besonders rätselhaft ist, wie gleich zu Beginn des Lebens so hoch komplexe, bio-chemische Strukturen wie das Genom, unter natürlichen Bedingungen entstehen konnten. Für die Entwicklung des Lebens auf der Erde ist es aber unerheblich, ob Leben auf der Erde entstanden ist, oder aus dem Weltraum auf die Erde kam.

Jetzt existieren auch neue Ansätze zur Frage der Entstehung des Lebens auf der Erde. Am interessantesten ist die Hypothese von Stuart Kauffman [ 3 ]. Er postuliert „autokatalytische Zyklen“ in einer Molekülsuppe, die den Umschlag von Quantität zu Qualität, von Molekülsuppe zu Leben, erzeugen, sobald ausreichend verschiedene Peptid-Moleküle vorhanden sind. (Ein Peptid ist ein kleines Protein. Es ist eine organische Verbindung, die aus einer Verknüpfung mehrerer Aminosäuren entstanden ist.) Kauffman schätzt, dass dazu 10.000 bis 100.000 verschiedene Peptid-Moleküle erforderlich sind und dass es heute technisch möglich ist, seine Hypothese durch praktische Versuche zu überprüfen.

Besonders interessant: Auch Kauffmann ist der Ansicht, dass kein Grund erkennbar ist, warum Leben (wie auf der Erde) nur an die Elemente C, H, N, O, P und S gebunden sein soll. Prinzipiell kann das Leben alle Elemente des Periodischen Systems nutzen und alle denkbaren Prinzipien zur Energiegewinnung - Die entscheidende Voraussetzung für den Stoffwechsel.  

 

Gott und die Naturgesetze

Auch Kauffman ist (wie ich) fasziniert von der enormen Kreativität, die in der Natur sichtbar wird. Er kann keine Naturgesetze erkennen, auf denen beispielsweise die Evolution des Lebens basiert. Deshalb ist er der Meinung, neben den Naturgesetzen existieren Phänomene, die nicht auf Naturgesetzen beruhen. Auf diese Weise kommt er zu einer neuen Definition von Gott: Gott ist verantwortlich für das, was Naturgesetze nicht erklären können.

Das ist mir viel zu simpel. Denn diese Definition von Gott ist nicht neu, sondern uralt. Genau das, was man sich nicht erklären konnte, wurde schon immer Gott zugesprochen. Genau so wahrscheinlich, dass Gott für die erstaunliche Kreativität verantwortlich ist, kann folgende Erklärung sein: Sie beruht auf Naturgesetzen, die wir einfach noch nicht kennen. Beispielsweise liegt nahe, dass die Evolution eine "immanente" Eigenschaft des Lebens ist, eine Folge der Interaktion des Lebewesens mit der Umgebung. Die Evolution ist Bestandteil der Sprache und Grammatik des Genoms. Eine Hypothese, die noch zu beweisen ist. Eines von vielen Problemen der bisher weitestgehend unverstandenen Sprache und Grammatik der Genomcodierung.

Wenn die Kreativität und Intelligenz der Natur andere Ursachen besitzt, als die Naturgesetze erklären, so wird diese Ursache ausserhalb unseres Universums (und anderer Universen) zu suchen sein, also ausserhalb unserer Wahrnehmung und Vorstellungskraft. Deshalb wird für Menschen die mögliche Existenz und das Wesen einer „Höheren Intelligenz“ immer verschlossen bleiben. 

 

Der iGem-Wettbewerb

Diesen Wettbewerb hat Drew Endy am MIT in Cambridge bei Boston initiiert. Alljährlich verschickt er die Biobausteine seines Katalogs an jeden, der damit experimentieren möchte. Für Biologiestudenten das wahre Paradies! Auf dem jährlichen Wettbewerb können sie dann auf dem Campus der Elite-Universität ihre Ergebnisse präsentieren. Mehr als 1100 Teilnehmer nahmen im Jahr 2009 an iGem teil. Nichts zeigt so informativ, womit sich derzeitig die Synthetische Biologie beschäftigt, als die Results Page dieses Wettbewerbs. Eine sehr gute Idee von Drew Endy, der damit gleichzeitig auch ein hervorragendes Instrument zur Rekrutierung von wissenschaftlichem Nachwuchs geschaffen hat!

 

Perspektiven

Die ersten Grundlagen sind geschaffen, um Gene tatsächlich synthetisieren zu können. Obwohl über weite Strecken noch unbekannt ist, nach welchen Prinzipien das Genom eines einfachen Bakteriums funktioniert, können bereits jetzt einzelne Funktionsbausteine synthetisiert und miteinander verknüpft werden. Das Ziel der gegenwärtigen Forschungsarbeiten ist das erste funktionsfähige, synthetische Genom. Aus diesem Genom wird das erste künstliche Lebewesen entstehen. Es wird ein Bakterium sein. Die Wissenschaft muss zu diesem Zweck zwei grundlegende Probleme beherrschen lernen: Die Grammatik der DNA und ihre ungeheure Komplexität.

Synthetische Lebewesen werden also auf lange Sicht keine Arme und Beine besitzen, sondern Bakterien sein. Aber Bakterien mit spezifischen Funktionen, die beispielsweise Insulin oder andere Medikamente herstellen. Das ist heute bereits Realität, allerdings nicht mit synthetischen, sondern mit natürlichen, aber manipulierten Bakterien. Die synthetischen Bakterien werden funktioneller sein, sobald man Fortschritte im Bereich der Grammatik macht.

Davon werden wiederum die Pharmaindustrie, die Viehzucht und die grüne Gentechnik profitieren, die bisher ausschliesslich auf die Genmanipulation ausgerichtet sind.

Ethische Bedenken? Die Forschung lässt sich von ethischen Bedenken nicht beeindrucken oder aufhalten. Das grösste Problem ist dabei nach meiner Ansicht, dass der natürliche Genpool irreversibel verändert wird. Auch die Gefahr von Biohazards wächst. Was passiert, wenn eines Tages Bakterien in die natürliche Umgebung geraten, die beispielsweise hoch effektiv Luft (78 % N, 21 % O ...) in Nitrat (NO3) umwandeln und sich gleichzeitig rasend schnell vermehren? Eine völlig neue Variante der Nitrifikation. Auf solche Fragen gibt es keine Antworten. Natürlich sind den Molekulargenetikern solche (und andere) Gefahren bewusst und sie treffen Vorkehrungen. Die Neugier aber ist wesentlich grösser, als die Sicherheitsbedenken.

 

Links zur Synthetischen Biologie

[ 1 ] Johann Grolle, „Konkurrenz für Gott – Eine Truppe von Biologen macht sich daran, das Leben neu zu erfinden ....“ DER SPIEGEL 1/2010, ab Seite 110

[ 2 ] Siehe auch These 21: Lebewesen sind autonom agierende Systeme mit den Eigenschaften des Lebens: Autarke Funktion, Stoffwechsel, geschlossene Stoffkreisläufe, Wachstum, Fortpflanzung, endliche Lebenszeit, Vererbung, Evolution, Individualität, Sinneswahrnehmung, Ortsveränderung, Bewegung und Kommunikation. Sie steuern Ziele an und brauchen dafür Neugier und Motivation. Mehr ...

[ 3 ] Stuart A. Kauffman, Reinventing the Sacred: A New View of Science, Reason and Religion: Finding God in Complexity, Basic Books (Gebundene Ausgabe - 15. April 2008) Mehr bei Amazon ...

[ 4 ] Jens Schröder, Die Gottesmaschinem, GEO 08/2009

 

www.spiegel.de Leben aus dem Lego-Baukasten

wikipedia.org Synthetische Biologie

www.dradio.de Gene gut und günstig

www.dradio.de Forschungsschwerpunkt: Leben aus dem Labor

igem.org Der jährliche iGem-Wettbewerb

 

Jürgen Albrecht, 08. Januar 2010
update: 20.02.2010

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