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Spaghetti
im Pulverdampf
Selten ist jemand mit soviel Häme
vorverurteilt worden wie Michel Friedman - eine
Presseschau
Von Oliver
Gehrs
Beliebt war Michel Friedman eigentlich nie: Zuviel
Gel im Haar, zu gut angezogen, zuviel Grapscherei in seinen
Sendungen und dann diese ständigen Erinnerungen an den Holocaust.
Zudem: Wer im deutschen Fernsehen intelligente Fragen stellt, macht
sich generell verdächtig. So einen sieht man natürlich gern
fallen.
Tatsächlich sieht es derzeit so aus, als wären viele
ganz froh, wenn Friedman endlich vom Schirm verschwände: Jeden Tag
werden die alten Verdächtigungen verbreitet. Kokainkonsum,
Sex-Spiele mit Prostituierten, Kontakt zu Menschenhändlern und -
ganz frisch - Videos von Orgien im Berliner Hotel Intercontinental.
Die Quelle für diese Meldung ist das Milieu, das Friedman zum
Vorwurf gemacht wird und in dem sich jetzt die Reporter
tummeln.
Im Pulverdampf der Affäre ist die Sorgfalt längst
untergegangen. Die ganze Woche über wurden den Lesern hämisch
Halbwahrheiten unter die Nase gerieben: Der Spiegel
verbreitet Friedmans angeblichen, von den Ermittlern falsch
verstandenen Decknamen "Paolo Pinkel" (Pinkaus wäre richtig),
Focus schwadroniert von "bizarren Sex- und Drogenorgien", die
Nachrichtenagentur dpa verbreitet eine dubiose Umfrage, nach der die
Mehrheit der Bundesbürger dafür ist, dass Friedman seine Karriere
als politischer TV-Moderator beendet, und die Saarbrücker Zeitung
schwärmt vom "völlig neuen Friedman-Gefühl - ihn jetzt sprachlos
zu erleben".
Dafür reden jetzt andere umso mehr - besonders
die, die keine Ahnung haben. So berichtet Focus, wie eh und
je dem Nutzwert verpflichtet, dass der gemeine Kokser "mit einem
Zug... circa ein Gramm" zu sich nimmt, womit er allerdings eher ein
Fall für "Wetten, dass...?" oder die Notaufnahme im Krankenhaus
wäre. Und die Süddeutsche Zeitung verbreitete den
Fantasiepreis von 1500 Euro für 50 Gramm Kokain, was der Redaktion
rege Anfragen kostenbewusster Großdealer gebracht haben
dürfte.
"In welchem Maße in der Affäre Friedman von den
Medien in die Intimsphäre eingegriffen wurde", so der Berliner
Medienrechtsexperte Christian Schertz, "ist schon einzigartig."
Befremdlich sei auch, dass die Staatsanwaltschaft zu einem sehr
frühen Zeitpunkt Erklärungen gegenüber der Presse abgegeben habe.
"Da wurde das Interesse der Öffentlichkeit nicht im erforderlichen
Maße mit den Persönlichkeitsrechten des Verdächtigen
abgewogen."
Mit besonderer Verve schmeißt sich die
Bild in die Rolle des agent provocateur: Täglich versucht das
Blatt mit dem kärglichen Rest in den "szenetypischen Päckchen" seine
Auflage zu pushen - und die große Frage, die im Subtext all der
überdimensionierten Schlagzeilen mitschwingt, ist die, wann
Friedmans Karriere endlich zu Ende ist. Und am besten nicht nur die
Karriere, sondern das Privatleben gleich mit. "Was wusste seine
Freundin Bärbel Schäfer?" kreischte Bild Anfang dieser Woche
auf der Titelseite und legte im Blattinneren mit der Suggestivfrage
nach: "Kann Bärbel Schäfer ihrem Michel verzeihen ?" In dem Artikel
selbst erfuhr der perfid angefixte Leser lediglich, dass Bärbel
Schäfer zu all den Vorwürfen nichts sagt, abwarten will, bei Mutti
ist. Fazit der Bild-Reporter: Trennung nicht ausgeschlossen.
Aber für welches Paar gilt das nicht ? Einen Tag später legte
Bild nach und berichtete unter Berufung auf anonyme Personen,
dass Friedman als Moderator abgelöst werde, sollten sich die
Vorwürfe erhärten. Als Quelle nannte Bild irgendwelche
"ARD-Kreise" - zu denen die entscheidenden Personen nicht zu gehören
scheinen. Denn weder der Intendant des Hessischen Rundfunks, Helmut
Reitze, noch der Chefredakteur Manfred Krupp haben sich in der Sache
gegenüber Bild geäußert.
"Die haben gar nicht mit uns
gesprochen", sagt Krupp und verweist darauf, dass die Angelegenheit
noch in der Schwebe ist, die nächsten Friedman-Sendungen entfallen
und dann ja sowieso Sommerpause sei. "Wir haben überhaupt keinen
Entscheidungsdruck", so Krupp; erst wenn alle Fakten auf dem Tisch
lägen, werde man das Gespräch mit Michel Friedman suchen. "Das
gebietet die Fairness und der Respekt für einen verdienten
Moderator. Wir werden uns nicht in die Reihen der Verfolger
begeben." Selbst eine positive Haarprobe bedeute nicht automatisch
das Ende von Friedmans TV-Karriere. Tatsächlich könnte das Verfahren
ja mit einem Strafbefehl abgeschlossen werden. Vorbestraft wäre der
Moderator dann nicht, schließlich ist der bloße Kokainkonsum in
Deutschland nicht strafbar. Und der Ausschluss aus der Anwaltskammer
steht ebenfalls nicht zur Debatte.
Das hört sich also gar
nicht nach dem von Bild herbeigesehnten Karriere-Ende an.
Immerhin möglich, dass die Reporter vom Krawallblatt mit
ARD-Programmdirektor Günter Struve gesprochen haben, der das
Abendprogramm im Ersten am liebsten ausschließlich mit Volksmusik
bestreiten würde.
Irgendwie müssen sie aber auch bei
Bild gemerkt haben, dass sich mit all den anonymen Zitaten
kein brisanter Artikel stricken lässt, und deshalb wurde der
vermeintliche Brüller "Friedman nie mehr im TV ?" mit einer Meldung
gestreckt, die zwei Tage zuvor bereits die Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung veröffentlicht hatte. Deren
Reporter hatten exklusiv recherchiert, dass Friedman in seinem
Lieblingslokal der Stammplatz entzogen wird, weil er dort eh immer
nur Spaghetti gegessen habe. "Er bekommt bei mir jetzt gar keinen
Tisch mehr", wurde dort der Chef des Edelitalieners "Charlot"
zitiert. Gut möglich, dass sich bald Friedmans Friseur mit neuen
Haarproben meldet.
Bis dahin fährt Bild zweigleisig.
Neben die Fragen nach Partnerschafts- und Karriere-Ende gesellte
sich Mitte der Woche plötzlich die nach einer Verschwörung rechter
Berliner Justizkreise und die Suche nach Friedmans letzten Freunden
- illustriert mit einem Paparazzo-Foto, das den Moderator in einem
Café in Venedig zeigt. Das alles verspricht angesichts der
spärlichen Koksreste in Friedmans Wohnung deutlich mehr Stoff für
die kommenden Tage. Dem Stern aber reichen selbst die Krumen,
um noch mal ordentlich einen drauf zu machen. Gleich die
Titelgeschichte widmet man diese Woche dem gestrauchelten Moderator.
In der findet sich kein Wort über die Merkwürdigkeiten bei den
Ermittlungen und die seltsame Figur des Staatsanwalts. Stattdessen
wurde ermittelt, dass Friedmans "Hemden und Krawatten besser sitzen
als die des Bundeskanzlers". Womit immerhin der Verdacht ausgeräumt
ist, dass die Stern-Reporter zu Aufputschmitteln greifen.
Deutschland: Frankfurter Staatsanwälte warnten vor
Drogen-Razzia Die Seite 3: Ein Stoff, der Jagdinstinkte
weckt
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Frankfurter Rundschau 2003 Dokument erstellt am 19.06.2003 um
16:53:22 Uhr Erscheinungsdatum
20.06.2003
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