Mt. Pinatubo für Alle
|
Schon einen Tag nach meiner Ankunft in Angeles wandere ich mit Fred Timoteo, einem freundlichen, einheimischen Guide und Carsten und seiner Freundin Thao, einem netten, deutschen Pärchen, zu dem grossen Hot Springs in der Flanke des Pinatubo. Diese Tour hat mir das Reisebüro vermittelt, das im Foyer des Hotels Premiere residiert, Kosten rund 1000 Peso. Eine sehr schöne Wanderung in einer Laharschlucht. Es geht im Wasser eines kleinen Flüsschens aufwärts, das immer wärmer wird, je näher man seiner Quelle kommt. Sehr interessante Bilder von der heissen Quelle. Die Wassermenge und die Temperatur nahe am Siedepunkt lassen ahnen, dass der Vulkan nicht weit weg ist. Aber vom Mt. Pinatubo sieht man auf dieser Tour ausser der (unspektakulären) Gipfelsilhouette nichts. Auf dem Rückweg von den Hot Springs verhandeln wir mit Fred über eine Tour zum Krater des Mt. Pinatubo. Für 6.500 Peso will er uns als freischaffender Guide ohne das Reisebüro in den Krater führen. Wir einigen uns auf 5.500 Peso (100 Dollar). Ein sehr guter Preis, der durch drei geteilt wird. Mühelos kann man in Angeles 4.000 Peso pro Person für diese Tour bezahlen. Schon am nächsten Morgen ist Start. Am 16. März 2005, früh um fünf Uhr, starten wir mit Fred zum Krater des Pinatubo, denn es ist Regen angesagt (die Ausläufer eines Taifuns in Palawan). Der Guide will gleich die 5.500 Peso kassieren. Er muss seine Subunternehmer bezahlen und dafür hat er kein Geld. Er erhält ein Drittel der Summe als Anzahlung und danach kann es losgehen. Mit einem hochbeinigen 4WD (der auf den Philippinen natürlich auch ein Jeepney ist) geht es in schneller Fahrt 20 Kilometer nach Norden. Auch um 5 Uhr haben die Garküchen und die Sari Sari Stores schon auf. Ein Bauer reitet auf einem Wasserbüffel aufs Feld. Ein Radfahrer auf der dunklen Strasse, natürlich ohne Licht. Ein Feuer brennt, Reisfelder, Zuckerrohr, eine Frau an der Wasserpumpe, der Morgen erwacht. Diese Bilder flattern vorbei. Auf der Ladefläche des geländegängigen Jeepneys wurden vier Autositze montiert. Zeltplane als Dach, keine Fenster, es zieht, es ist kalt und bei jedem Schlagloch droht ein Schleudertrauma. Sicherheitsgute gibt es natürlich auf der Ladefläche nicht. In Capas wird nach Westen abgebogen. Zwei Militärposten werden zwischen Santa Lucia und Santa Juliana überwunden, hier müssen wir unsere Namen in ein Kontrollbuch eintragen und Fred muss ein paar Pesos gucken lassen. Nach weiteren 20 Kilometern sind der Anfang des Crow Valley und die Grenze des Oeco Park Mt. Pinatubo erreicht. Hier steigt ein spezieller Pinatubo Guide zu und auch hier wird kassiert. Inzwischen ist auch die Sonne aufgegangen. Jetzt fahren wir im Crow Valley nach Süden und auf den Mt. Pinatubo zu. Ein Flussbett, zeitweise zwei bis drei Kilometer breit. Am Anfang fliesst Wasser, in dem Soldaten bei der Morgentoilette sind. Sie sind hier im Manöver, Schiessübungen sind angesagt. Schon nach kurzer Zeit ist das Flussbett trocken, nur noch ein kleines Flüsschen auf der linken Seite. Aber an den Lahar, Geröll- und Schuttmassen kann man ahnen, was hier in der Regenzeit los ist. Wo kommen nur die riesigen Steine her, die überall herumliegen? Woher, wenn sie nicht der Krater ausgespuckt hat? Rechts und links die Berge bestehen alle aus Lahar oder sind mindestens meterdick von Lahar bedeckt. Man sieht es, sobald sie vom Wasser angeschnitten werden. Lahar ist eine Mischung aus Vulkanasche, Bims, Staub, Geröll und anderem Ausbruchsmaterial. Durch Regenwasser wird es an den Flanken des Mt. Pinatubo in die Ebene gespült und hat im Süden ganze Städte verschüttet. Nach wenigen Wochen ist das angeschwemmte Lahar hart wie Beton. Die ersten Wasserdurchfahren sind nötig. Das Flussbett wird enger, die Aschewände rücken von rechts und links näher heran. Überall viele grosse Steine, rund und abgeschliffen. Stammen sie aus dem Bergmassiv des Pinatubo, oder hat er sie ausgespuckt? Grosse Helligkeitsunterschiede im Morgenlicht. Inzwischen ist es schon 8:09 Uhr. In diesem Teil des Crow Valley, bis hin zum Krater, leben jetzt wieder einige Ureinwohner, die Aeta oder Ayta, auch Negritos genannt. Äusserlich unterscheiden sich die Aeta deutlich von den Philippinos, sie sind kleinwüchsig, kaum grösser als 1,50 Meter, ihr Haar ist dunkel und kraus. Die Aeta gehören zu den Pygmäen, die im tropischen Regenwald Zentralafrikas, auf Malacca, den Philippinen, im zentralen Neuguinea und auf den indischen Andamanen leben. Auf die Philippinischen Inseln sind sie wahrscheinlich als erste Einwanderer vor mindestens 25.000 Jahren gekommen. Heute leben auf den Philippinen noch zwischen 15 und 50.000 reine Negritos, die meisten hier auf Luzon. Die Aeta sind Nomaden, ihre Hütten bauen sie aus Zweigen, Laub und Gras. Sie ernähren sich davon, was die Natur in dieser Gegend zu bieten hat: Früchte, Insekten und nur selten werden sie ein Tier mit Pfeil und Bogen erlegen. Ihre Hauptnahrungsquelle sind Bananen, die sie sporadisch auf den bewachsenen Laharhügeln anbauen. Alle 600 Todesopfer des Vulkanausbruches von 1991 waren Negritos. Sie kamen um, weil sie nicht auf die Warnungen und die Aufrufe zur Evakuierung hörten. Sie fühlten sich als Kinder ihres heiligen Berges Pinatubo und waren sicher, dass er ihnen nichts antun wird. Sie versteckten sich in Höhlen und kamen dort ums Leben. Nach dem Ausbruch wurden sie aus der Gefahrenzone evakuiert und weiter weg vom Krater wieder angesiedelt. Sie sind nicht integrationswillig, wollen in Ruhe gelassen werden und leben jetzt wieder direkt in der Nähe des Kraters. Wir fahren mit einem Mondauto an den Menschen vorbei, die noch mit Pfeil und Bogen um ihren Lebenserhalt kämpfen. Schlagartig werde ich an die Rallye Dakar erinnert. Auch hier muss es den Ureinwohnern vorkommen, als rase eine Invasion von einem anderen Stern vorbei. Welten begegnen sich, die nichts verbindet und die sich nichts zu sagen haben. Auf der einen Seite ursprüngliche Lebensweise ohne Technik. Auf der anderen Seite: Pinatubo für alle, die es bezahlen können. Ein Hightech Trip bis in den Krater oder ein Flug über die Kraterwände - Just for Fun. Bevor die Weissen kamen, lebten die Aeta unbehelligt von den Philippinos in den Regenwäldern um den Mt. Pinatubo. Heute bieten sie ihre Waffen als Souvenir an den Stränden in Zambalis an und neben den flackernden Leuchtreklamen der Bars von Angeles leben sie als Bettler. Mir wird flau im Magen, nicht nur von den harten Schlägen des Jeeps. Die Aschewände werden höher und sie kommen näher. Eine bizarre Landschaft im Morgenlicht. Der Jeep zwängt sich durch eine enge Schlucht, in der das Wasser rauscht. Millimeterarbeit des Drivers. Ein tropischer Regenguss und aus dem Flüsschen wird ein reissendes Wildwasser, keine Chance, mit dem Jeep zurück zu kommen. Man muss hier auch nicht fahren. Viel lieber würde ich über die Felsen dieser Schlucht klettern. Aber wer ausser mir will das schon? Noch vor wenigen Jahren war diese Kratertour ein Zweitagesmarsch mit Übernachtung in diesen Schluchten. Mit dem Jeep aber hat sich das Abenteuer verkürzt und ist für eine breitere Zahl von Interessenten auch ohne grosse körperliche Anstrengung möglich geworden. Deshalb also werden wir durch diesen schmalen Durchbruch gefahren. Aber nur ein bis zwei Kilometer hinter der engen Schlucht muss der Jeep aufgeben. Es geht nur noch zu Fuss weiter. Wände höher als 100 Meter, Erosionsmuster durch Wind und Wasser, steile Abbrüche, riesige Steine. Ein relativ breites Flussbett voller Steine, aber nur mit wenig Wasser. Carsten und Thao laufen mit dem Pinatubo Guide vorne weg. Fred baut viele, kleine Pyramiden, um die Götter des Mt. Pinatubo auf unseren Besuch vorzubereiten. Ich helfe ihm dabei, bilde aber fast immer das Schlusslicht. So habe ich die grösste Ruhe, diese unbeschreibliche Landschaft auf mich wirken zu lassen. Wasser dringt aus einigen Wänden. Leuchtend rote und gelbe Algen. Ein ganz deutliches Zeichen für heisse Quellen. Das ist aber der einzige Hinweis, dass wir uns hier auf dem Gebiet eines hoch gefährlichen Vulkans befinden. Keine dampfenden Quellen, keine Geysire, keine erkaltete Lava, keine brüllenden Rauchschlote wie am Sybayak in Malaysia. Eine friedliche Landschaft, die immer grüner wird, je näher wir dem Krater kommen. Niemand vermutet solche Bilder in der direkten Nähe des Pinatubokraters. Bäume, Büsche, Gras, Schilf und ein friedlich murmelndes Bächlein, das passt einfach nicht zu einem Vulkan. Aber die grünen, steilen Berge, lassen darauf schliessen, dass es hier von Zeit zu Zeit nicht so idyllisch zugeht, wie es den Anschein hat. Alle diese Berge sind alte Kraterreste, denn bei jedem Ausbruch verändert sich diese Landschaft hier grundlegend. Ein leichter Anstieg, eine Treppe mit Geländer (!) und um 10:06 Uhr stehe ich am Kraterrand. Da unten liegt blau leuchtend und völlig friedlich der Kratersee des Mt. Pinatubo. Von der Aussichtsplattform zum Kratersee hinunter zu steigen, ist fast die gefährlichste Aktion der ganzen Tour. Man muss sich über rutschigen Bims und Schotter abseilen, hat aber kein Seil zur Verfügung. Unten stehen wir auf einem flachen Geröllfeld und an der Abbruchwand darüber sieht man, wo es hergekommen ist. Böiger Wind weht Aschestaub von oben herunter, Windmuster auf dem Kratersee, zerklüftete Wände mit Schuttkegeln. Man sieht, welche urwüchsige Gewalt hier am Werke war und kann sich nicht vorstellen, dass dreihundert Meter dieses Gipfelmassivs beim Ausbruch im Jahre 1991 in die Atmosphäre geblasen wurden. Die Natur erobert sich aber auch diesen Lebensraum zurück. Kleine Bäume, Büsche und Gräser wachsen schon wieder. Ruhe. Nur der Wind ist zu hören und manchmal zirpt ein Vogel. Aber es ist eine trügerische Ruhe. Gewaltige Natur, gewalttätige Natur. Die Sonne kracht in den Kraterkessel. Carsten und Thao steigen auf eine Schutthalde, der Pinatubo Guide besteigt ein Bambusfloss und geht baden. Fred macht eine Frühstückspause und ich setze mich hinter eine Geröllwand, windgeschützt mit Sicht auf den Krater, und versuche zu begreifen, wo ich hier bin. Nach eineinhalb Stunden wird das obligate Gruppenfoto gemacht. Um 11:23 Uhr begeben wir uns in der gleichen Marschordnung auf den Rückweg. Der Pinatubo Guide mit Carsten und Thao im Sturmschritt, ich mit Fred, der immer noch Pyramiden baut, langsamer hinter her. Die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel, gleissende Helligkeit strahlt von den hellgrauen Wänden zurück. Ganz andere Bilder bei hartem Licht und erstaunlich, dass die Camera (Canon S60) mit diesen so unterschiedlichen Lichtverhältnissen fertig wird. Eine gute Stunde später sind wir wieder bei unserem hochbeinigen Jeep. Ohne Probleme fahren wir die gleiche Strecke zurück. Die gleiche Erosionslandschaft, aber völlig anders beleuchtet. Riesige Abbrüche, bogenförmig. Warum? Und wo sind die Massen, die hier abgestürzt sind, wo sind sie hin? In der Regenzeit werden hier unvorstellbare Mengen von Lahar abtransportiert. Früher oder später landet alles in den Weltmeeren. Die langsam aber stetige Zunahme der Entropie sorgt dafür. Wie in einem Bilderbuch ist dieses Naturgesetz hier zu beobachten. Schon um 14:30 Uhr stehe ich unter der Dusche in meinem komfortablen Hotel Premiere. Fred Timoteo hat uns sicher nach Hause gebracht und er gibt mir seine Visitenkarte: Wenn ich in dieser Gegend einen Guide brauche, der über Insiderkenntnisse und die erforderlichen Subunternehmer verfügt: Ein Anruf genügt: (6345) 889-7607. Pinatubo für jeden, der es bezahlen kann. Für Geld ist in Angeles fast alles zu haben. Vorsicht-
Grosse Bilder des
Pinatubo Kraters
WANDERWEG Rot:
Wanderweg durch ein enges Lahar-Tal.
|
Jürgen Albrecht, 06. April 2005
Angeles, Philippines