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Der 9. November 2011
   

Dieser 9. November macht keine Schlagzeilen. Kein rundes Gedenkjahr, 22 Jahre ist es her, dass heute die Mauer in sich zusammenfiel. Wen interessiert das heute noch? Die Finanz- und Schuldenkrise, die Krise des Euro, die militärischen Drohungen Israels gegen den Iran, die sinkenden Reallöhne, Arbeitslosigkeit, Hartz IV und die abflauende Konjunktur sind viel wichtiger. Und der Holocaust an den Juden. Der 9. November wird von den brennenden Synagogen im Jahr 1938 besetzt. Der 3. Oktober, der nichts mit dem Mauerfall zu tun hat, das ist der Tag der deutschen Einheit.

Nicht für mich. Der 9. November 1989 ist einer der wichtigsten Tage in meinem Leben. An diesem Tag öffnete sich das Gefängnistor und auch für mich war endlich der II. Weltkrieg zuende: Wir waren befreit. Befreit von den Faschisten, den bornierten deutschen Kommunisten und befreit von den Russen, die auch noch 44 Jahre nach 1945 in Ostdeutschland als Besatzer die physische und die ideologische Macht besassen. Die DDR-Regierung war in ihren Entscheidungen bis zum 9. November 1989 immer abhängig von der "Grossen, ruhmreichen Sowjetunion". Das hatte jetzt ein Ende. Endlich konnten wir raus aus der miefigen DDR, auch uns stand jetzt die Welt offen (wenn die Reise finanzierbar war ...). Vor allen Dingen aber hatte die intellektuelle Bevormundung ein Ende: Wir mussten nicht mehr nachbeten, was die unfehlbare Partei als Wahrheit verkündete. Dieser Aspekt ist auch heute noch für mich der entscheidende. Ich kann denken, sagen und machen was ich will, ohne dass ich einen Parteisekretär um Erlaubnis fragen muss.

Das ist die Sicht eines (nicht typischen) Ossis. Die meisten ehemaligen DDR-Bürger wollten vor allen Dingen die D-Mark und damit das Auto, den Fernseher und die Waschmaschine, die ihre Verwandten im Westen besassen. Die intellektuelle Bevormundung hat nur wenige gestört. Reisen war wichtig und das, was man in seine Höhle schleppen konnte. Kaum einer hat damit gerechnet, dass wir dafür sehr teuer bezahlen mussten: Mit Arbeitslosigkeit, Unsicherheit, einem drittklassigen Bildungssystem und mit permanenten Betrugsversuchen auf allen Ebenen des täglichen Lebens. Und mit den gleichen Lügen, die wir aus den öffentlichen Medien der DDR hinreichend kannten. Trotzdem - Dieses System ist eindeutig besser als der "Reale Sozialismus", weil es wie die Faust aufs Auge zu den gegenwärtig auf dieser Welt existierenden Menschen passt.

Was denken die Deutschen in Hamburg, Duisburg und Freiburg über den Mauerfall, sollten sie heute überhaupt daran denken? Sie denken in erster Linie an den Solidaritätszuschlag und an das viele Geld, was ihnen durch die deutsche Wiedervereinigung durch die Lappe gegangen ist. Viele wissen noch heute nicht, dass der Soli auch im Osten gezahlt wird. Was haben die Leute in Bayern und am Rhein vor 25 Jahren von der DDR gewusst? Wie viel davon hat sie berührt? Hat sie das Schicksal ihrer Landsleute im Osten überhaupt interessiert? In welchem Masse hat der II. Weltkrieg in West-Biographien eingegriffen? Massive Unterschiede beispielsweise zu einer Familie, die 1945 aus Schlesien flüchten musste, 40 Jahre DDR zu ertragen hatte und die am 1. Juli 1990 mit 2.000 D-Mark endlich die Gelegenheit zu einem Neustart bekam?! Ein Bruch in der Biographie von vier Generationen! Wer denkt darüber in Westdeutschland nach, während man sich über den Soli entrüstet?

Genau so wenig haben auch die aus den vergangenen 44 plus 22 Jahren gelernt, die jetzt gerade wieder den Aufbau des "Demokratischen Sozialismus" in ihr Parteiprogramm geschrieben haben ohne zu sagen, was das ist und wie dieser Sozialismus funktionieren soll. Die Linke hat ihre DDR-Vergangenheit nicht aufgearbeitet. Niemand hat sich für die ideologische Bevormundung und für die gesellschaftlichen Experimente mit 18 Millionen realen Menschen hinter einer hohen Mauer entschuldigt. Erst wurden Legenden gestrickt und dann erfolgte die Anpassung/Wendung an die neuen Verhältnisse. Das aktuelle Paradebeispiel dafür: Sarah Wagenknecht. Der Opportunismus wird leider immer noch von den unbelehrbaren Ideologen behindert, sonst wäre Die Linke schon längst koalitionsfähig und hätte wieder Zugriff auf die öffentlichen Kassen. Die hehren Ziele vom Neuen Menschen und der (kostenlosen) Befriedigung seiner Bedürfnisse sind vergessen. Es geht nur wieder um die Teilhabe an der Macht. Ganz gewöhnliche, gierige und eigennützige Politik.

Mein Facit zum 9. November 1989: Uns in der DDR konnte nichts Besseres als der unblutige Mauerfall passieren. Hätten die DDR-Genossen nicht nur borniert Marx nachgebetet, sässen wir womöglich noch heute hinter der Mauer! Wie gut, dass wir reiche Brüder und Schwestern hatten. Auch wenn die von den armen Verwandten aus dem Osten nicht begeistert sind - Wir müssen zusammen leben. Und das ist gut so.

Bilanz der Bundesregierung im Jahr 2011 zur deutschen Einheit bei www.bundesregierung.de ...
Mauerfall und Neustart bei www.storyal.de ...

 

Schlagzeilen am 09. November 2011

 

 

Jürgen Albrecht, 09. November 2011
update: 13.11.2011

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