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Ich war's nicht !

Egon Krenz, der letzte Staats- und Parteichef der DDR, unter dem aus Versehen am 9. November 1989 die Mauer eingerissen wurde, Egon Krenz, trotzig und hölzern, sitzt als Totschläger im Gefängnis. Vor einem Jahr wurde er nach einem endlosen Prozess mit Heinz Keßler, dem ehemaligen Verteidigungsminister der DDR und Fritz Strehlitz, seinem Stellvertreter, zu sechseinhalb Jahren komfortabler Haft verurteilt. Er braucht nur zum Schlafen ins Gefängnis kommen. Spätestens in zwei Jahren ist er wegen 'guter Führung' wieder auf freiem Fuss.

Diese drei 'Kommunisten' sind neben ein paar Grenzsoldaten die einzigen DDR-Machthaber, die für die Erschiessung von rund 960 Menschen an der innerdeutschen Grenze verurteilt wurden. Unbewaffneten Menschen wollten nichts anderes, als die DDR verlassen,
dabei wurden sie erschossen. Gestern hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Beschwerde von Egon Krenz und Genossen gegen ihre Verurteilung wegen Totschlags durch bundesdeutsche Gerichte zurückgewiesen. In der Urteilsbegründung heisst es sinngemäss: Der Schutz des Lebens als höchstes Rechtsgut ist nicht nur in den internationalen Menschenrechtsvereinbarungen garantiert, sondern war auch in der DDR Verfassung, sowie in den Volkspolizei- und Grenzgesetzen festgeschrieben. Die DDR Grenze 'um jeden Preis' zu schützen, habe auch gegen diese Grundsätze des DDR Rechts verstossen. Damit hat sich das EGMR der Argumentation der deutschen Gerichte angeschlossen. Die Entscheidung ist endgültig, es war die letzte Instanz.

Es ist nicht überraschend, dass dieses Urteil in den Medien ein zwiespältiges Echo findet. Die bundesdeutsche Justiz fühlt sich bestätigt, die Angehörigen der an der Mauer erschossenen Menschen sehen ihre Erwartungen erfüllt und die staatstragenden Politiker empfinden Genugtuung. Ganz anders die Parteikader der ehemaligen DDR. Für Egon Krenz ist in Strasbourg ein 'politisches Urteil' gefällt worden und er fühlt sich 'als Krimineller ausgegrenzt'.
Hans Modrow, Hoffnungsträger der DDR in ihren letzten Monaten und jetzt PDS Vorsitzender, ist schwer enttäuscht und erklärt sperrig: '... Das politische Urteil wird für so manchen, der noch an Rechtsstaatlichkeit glaubt, gewiss desillusionierend wirken.' Es ist die pure Heuchelei, wenn ehemalige Spitzengenossen der DDR sich jetzt auf die Rechtsstaatlichkeit berufen. Aber wem fällt das heute, 10 Jahre nach dem Abgang der DDR, überhaupt noch auf? Das Neue Deutschland stellt heute in seinem Leitartikel pikiert fest:

Die (böse) NATO darf Bomben auf Belgrad werfen, aber die (gute) DDR verletzt Völkerrecht, wenn sie ihre Grenzen schützt: 'Rechtsprechung und Gerechtigkeit werden so in Frage gestellt.' Auch das ND hat also die Erkenntnisse der 'Wissenschaftlichen Weltanschauung' schon zu den Akten gelegt: Es geht nicht um Rechtsprechung und Gerechtigkeit, sondern zuerst immer um Macht. Wer Macht hat bestimmt, was Recht ist. Höchstens in zweiter Linie geht es auch um Menschenrechte, die sich der reiche Pluralismus leisten kann. Die DDR mit ihrem entmannten Wirtschaftssystem konnte es nicht.

Für mich stellt sich ein ganz anderes Problem: 16,6 Millionen Menschen wurden 40 Jahre lang in ihrem eigenen Staat eingesperrt. Sie wurden erschossen, wenn sie 'die DDR, unser Vaterland' verlassen wollten. Es wurde ihnen bis ins Detail vorgeschrieben, was sie zu denken, zu glauben, zu lesen, wie sie zu arbeiten und zu leben hatten. Vier Jahrzehnte mussten sie eine gewalttätige, bornierte Diktatur ertragen und erst im Jahre 1990 war auch für diese Deutschen der II. Weltkrieg zuende.

Die unsägliche 'Diktatur des Proletariats' hat
rücksichtslos in die Biografien von drei Generationen eingegriffen. Auch mehr als 10 Jahre danach fühlt sich niemand von der alten Garde dafür schuldig. Keiner der ehemals 'guten Genossen' bedauert etwas, oder hat ein Unrechtsbewusstsein entwickelt. Im Gegenteil, sie sehen sich unverstanden und zu Unrecht ausgegrenzt, denn sie wollten doch damals (und heute schon wieder) nur das beste für 'unsere Menschen'. Für 40 Jahre Unterdrückung und Bevormundung von Millionen Menschen werden 3 (in Worten: Drei Komma Null) ehemals entscheidend verantwortliche Machthaber zu maximal sechseinhalb Jahren bequemer Haft verurteilt, die sie höchstens zur Hälfte absitzen werden!

Ist das gerecht? Natürlich ist es ungerecht. Es ist schreiendes Unrecht. Aber Gerechtigkeit ist keine Kategorie der Geschichte und ... so schwer es fällt: Niemand ist nachträglich für die Geschichte verantwortlich zu machen.

Genau dieser Tatbestand ist mir schon bei der Finkelstein Story aufgefallen. Hier geht es zwar um ganz andere Fakten, aber das Prinzip ist das gleiche: Geschichte ist weder rückgängig zu machen, noch kann man dafür jemanden
belangen oder entschädigen. Was bleibt, ist lediglich die Verachtung für die Täter und die Unbelehrbaren.

Jürgen Albrecht, 23. März 2001

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