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Es geht bergab - Aber wo geht es hin?

 

 

Schlechte Stimmung in Deutschland

Gerade hat das Statistische Bundesamt den Datenreport 2004 vorgelegt. Die Stimmungslage der Deutschen ist schlecht:

"Es ist bemerkenswert, wie viele Indizien auf eine Trendumkehr der Lebensqualität in Deutschland hinweisen", sagte der Mitautor des am Montag in Berlin vorgelegten "Datenreport 2004", Heinz-Herbert Noll. Die Forschungsergebnisse des Statistischen Bundesamtes und anderer Institute deuteten auf eine Verschlechterung der Lebensbedingungen und des subjektiven Wohlbefindens hin. Nicht nur die Zufriedenheit mit dem Leben allgemein, sondern auch mit verschiedenen Lebensbedingungen sei zuletzt bundesweit fast durchgängig gesunken. "Insgesamt sind die Ostdeutschen allerdings weniger zufrieden als die Westdeutschen." Mehr ...

Nach der neuesten Umfrage des Forsa-Instituts (STERN 38/2004) wünschen sich viele Bundesbürger in Ost und West sogar die Mauer zurück. Dabei ist besonders aufschlussreich, dass sich jeder vierte Bundesbürger West nach der Mauer zurücksehnt:

Die Gründe sind offensichtlich: Eingesperrt und eingemauert in ihrem 'sozialistischen Vaterland' waren den Wessis ihre 'Brüder und Schwestern' zwar lieb, aber nicht so teuer! Sonntagsreden kosten nichts und verschaffen ein gutes Gewissen. Ausserdem konnte man die Weihnachtspakete von der Steuer absetzen. Das war alles sehr bequem - leider ist es vorbei. Jetzt sind die Westdeutschen direkt mit den massiven Folgen der Nachkriegszeit und der Wende von 1989 im Osten Deutschlands konfrontiert. Das nervt. Eine neue Mauer wäre durchaus eine Lösung. Aber noch ist es nicht so weit.

Bundespräsident Horst Köhler nimmt in dieser Situation kein Blatt vor den Mund, sondern giesst Öl ins Feuer: Er hält die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland für nicht machbar. Man müsse sich mit den unterschiedlichen Lebensverhältnissen innerhalb Deutschlands abfinden, das gelte von West nach Ost ebenso wie von Nord nach Süd, sagte Köhler dem Nachrichtenmagazin «Focus». Wer diese Unterschiede einebnen wolle, zementiere den Subventionsstaat und lege der jungen Generation eine untragbare Schuldenlast auf. «Wir müssen wegkommen vom Subventionsstaat», sagte der Bundespräsident. Aus den neuen Bundesländern und von der SPD erntete er für seine klaren Worte nur Entrüstung. Die CDU klatscht Beifall. Aber nur, weil sie in der Opposition ist. Niemand will dem Wahlvolk reinen Wein einschenken. Genau dafür aber ist es höchste Zeit.

Ich stimme Köhler zu. Er beschreibt unsere unausweichliche Perspektive: Es ist Illusion, dass beispielsweise Mecklenburg in absehbarer Zeit den Wohlstand Baden-Württembergs erreicht. Dazu besitzen beide Länder seit 2.000 Jahren eine viel zu unterschiedliche Historie. Allein die Nachkriegsgeschichte reicht aus, um das Wohlstandsgefälle dieser Länder für weitere Generationen zu zementieren.

Bei allem Lamento aber ist nicht zu übersehen: Wir jammern auf hohem und höchstem Niveau. Die schlechte Stimmung in Deutschland resultiert nicht aus Armut, Hunger und Wohnungsnot. Wir leben in einem Wohlstand, von dem die meisten Menschen dieser Erde nur träumen: Die ferngeheizte Wohnung, die Waschmaschine, der gefüllte Kühlschrank, der Fernseher und das Auto sind genau so selbstverständlich, wie zweimal Urlaub pro Jahr. 1950 war der Krieg gerade vorbei. Deutschland lag in Schutt und Asche, Millionen von Flüchtlingen, ausgebombte Wohnungen, bittere Armut, Hunger, täglich Stromsperre. Niemand dachte an Fernseher und Auto. Trotzdem war 1950 die Stimmung in Deutschland deutlich besser, als heute. Paradox?

 

Es geht bergab

Es geht uns nicht schlecht, aber jeder fühlt, es geht bergab. Das ist die gegenwärtige Stimmungslage in Deutschland. Die Ursachen dafür sind in den neuen Ländern völlig anders als in der alten Bundesrepublik. Dort ging es seit 1950 kontinuierlich aufwärts. Es gab Arbeitsplätze, man konnte Geld verdienen, der persönliche Wohlstand und der Wohlstand der Kommunen und des ganzen Landes stiegen jährlich. An den kalten Krieg hatte man sich gewöhnt, denn die latente Gefahr dauerte schon 30 Jahre. Die DDR existierte in den Köpfen der Westdeutschen praktisch nicht. 'Der Russe' war nicht zu sehen, die Amerikaner spielten die starken Beschützer und die vielen in Deutschland stationierten GIs brachten Geld ins Land. Welches Auto in diesem Jahr kaufen und wohin im Urlaub?? Andere Probleme hatte man nicht. Spätestens seit 1995 merkt man eine starke Veränderung: Die Arbeitslosigkeit steigt, Staat und Kommunen haben immer weniger Geld, kein Zuwachs auf dem Sparkonto. Die Ursache ist schnell ausgemacht: Der Milliardentransfer in die ehemalige DDR.

In Ostdeutschland eine völlig andere Situation nach 1945: Diktatur, Armut, Bevormundung, Denk- und Reiseverbot in der DDR. In 40 Jahren entsteht eine mittellose Notgemeinschaft. Aber es gibt soviel Arbeit, dass Vietnamesen und Afrikaner ins Land geholt werden und für alle existiert soziale Sicherheit auf gleichem, niedrigem Niveau bis 1989. Erst mit der Wende ist der II. Weltkrieg auch für Ostdeutschland beendet. Ein Umbruch in einer ähnlichen Grössenordnung, wie bereits 1945 erlebt, setzte ein: Neustart mit einem Westgeld-Konto von 2.000 DM. Stilllegung der unproduktiven Industrie. Von der Vollbeschäftigung in die nie gekannte Arbeitslosigkeit. Westgeld, Freiheit, ganz neue Bedürfnisse, aber zu wenig Geld. Aber genug 'Westgeld' für die neue Wohnungseinrichtung, das neue Auto und Urlaub auf Mallorca. Nie vorher hat ein ganzes Volk komplette Wohnungseinrichtungen einschliesslich der funktionierenden Autos auf den Müll gekippt! Norbert Blüm hat es 1990 einmal unverblümt gesagt: Der Osten wurde mit Geld ruhig gestellt. Produziert wurde für den Osten in Westdeutschland: Boom und Arbeitsplätze. Aber schon drei Jahre nach der Wende spürt man im Osten eine deutliche Veränderung: Die Verheissungen erfüllen sich nicht, keine blühenden Landschaften, sondern das Gegenteil: Keine Industrieproduktion, keine Jobs, unaufhaltsam steigende Langzeitarbeitslosigkeit, Abwanderung in den Westen, verlorene Illusionen. Auch hier ist die Ursache schnell erkannt: Ungleiche Löhne, Gehälter, Renten und Sparkonten im Osten, aber gleiche Preise wie im Westen. Dazu massive Standortnachteile und keine Perspektive. Die Ostdeutschen sind Deutsche zweiter Klasse. Allein schon durch ihre DDR-Vergangenheit.

Quelle: Forsa-Institut, STERN 38/2004

Quelle: DER SPIEGEL, 39/2004

 

Quelle: Forsa-Institut, STERN 38/2004

Quelle: DER SPIEGEL, 39/2004

 

Dauerarbeitslosigkeit in Deutschland

Das deutsche Grundproblem ist die Arbeitslosigkeit. Ohne Jobs keine Kaufkraft, keine Nachfrage und keine Steuereinnahmen. Seit mindestens 20 Jahren steigt die Arbeitslosigkeit in Deutschland. Alle Parteien haben zwar versprochen, die Arbeitslosigkeit gleich nach der Wahl zu halbieren (Kohl und Schröder sogar mehrfach ...), aber keine Regierung war in der Lage, Jobs zu schaffen oder wenigstens den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu stoppen.

Quelle: Ein Klick und Aktualisierung

Im Juli 2004 beträgt die Arbeitslosigkeit in Deutschland 10,5 Prozent. Das hört sich nicht sehr dramatisch an. Zur gleichen Zeit aber beträgt die Arbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt 20,7 Prozent. Durchschnitt für die ostdeutschen Länder: 18,5 Prozent. Und das sind nur die offiziellen Zahlen.
In Wirklichkeit sind heute mindestens 30 Prozent der arbeitsfähigen und arbeitswilligen Bevölkerung im Osten Deutschlands arbeitslos!


Brandenburg ... typisch für Ostdeutschland:
Es sind keine Arbeitsplätze entstanden,
die Arbeitslosen wurden (mit immer weniger Geld) alimentiert.

 

Wohlstand macht satt

Warum geht es bergab? Die Statistik ist eindeutig: Deutschland verliert seit 1980 kontinuierlich Arbeitsplätze und in der Folge Steuereinnahmen. Ein armer Staat kann kein sozialer Staat mehr sein. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich. Immer mehr Geld konzentriert sich bei immer weniger Menschen. Genau so eindeutig ist, dass die Gewinne grosser Unternehmen steigen. Die Gewinne werden aber nicht mehr in Deutschland, sondern im Ausland erwirtschaftet.

Die Globalisierung ist Ursache für beide Entwicklungen. Globalisierung heisst: Die Produktion (und damit die Arbeit) wird dorthin verlagert, wo sie am billigsten ist. Globale Kommunikation (Telefon, TV, Internet) und global operierende Logistik (LKW, Schiffe, Flugzeuge, Pipelines) machen es möglich.

Ein Grundprinzip der Globalisierung ist besonders verheerend: Die Arbeit ist dort am billigsten, wo die Armut am grössten ist. Dort ist aber gleichzeitig auch die Motivation der Menschen am höchsten (Es gilt auch die Umkehrung!). Wer nichts hat und hungert, will nur überleben. Einem einzigen Ziel wird alles untergeordnet: Raus aus dem Elend! Der Arme ackert hoch motiviert 20 Stunden täglich und sieben Tage in der Woche, wenn er eine Perspektive sieht. Er fragt nicht nach den Arbeitsbedingungen, dem Arbeitsschutz und den Ladenschlusszeiten. Menschenrechte, Umweltschutz, Gesetze ... nichts zählt, alles ist erlaubt, was Profit bringt. Unter solchen Umständen entstehen ganz andere Arbeitsleistungen, Unternehmungen und Innovationen, als an einem deutschen Arbeitsplatz: 37,4 Wochenstunden, eingebettet in ein unüberschaubares Gewirr von Gesetzen, Vorschriften und Normen. Die Einhaltung der Pausenzeiten wird eifersüchtig von den Gewerkschaften überwacht.

Wohlstand macht satt und träge. Hohe Motivation und grosse soziale Sicherheit/Wohlstand schliessen sich aus. Arbeitnehmer und Unternehmer aus Wohlstandsländern haben keine Chance gegen ihre Kollegen aus der dritten Welt. Asiaten sind ihnen in der Motivation hoffnungslos überlegen. Nur das ungleich höhere Eigenkapital und das bessere Know How lässt westliche Unternehmer in Südostasien (noch) nicht untergehen.

Die deutlich höhere Motivation der Asiaten wird zusammen mit der Globalisierung dazu führen, dass sich das wirtschaftliche Zentrum der Welt nach Südostasien und China verlagert. Die Tendenz ist unübersehbar, der Trend unaufhaltsam. China und Asien haben die höchsten Wachstumsraten (s.u.). Diese Länder versorgen den hoch defizitären Haushalt der USA mit frischem Geld, sie kaufen im grossen Stil Vermögenswerte der USA: Ausverkauf, seit den Bush-Jahren! Auch die Konsequenzen für die alten Industrieländer sind längst sichtbar: Die Produktion, für die viel Material und schwere Handarbeit benötigt wird, ist schon vor 25 Jahren abgewandert: Rohstoffindustrie, Schwerindustrie, Schiffbau. Jetzt wird alles automatisiert oder ausgelagert, was personalintensiv ist: Zulieferteile, Montagen, Werkzeuge, elektrische Geräte, Computer, Textilien, Verpackungen, Nahrungsmittel, Blumen ... Aber auch die intelligenzintensive Produktion ist inzwischen beispielsweise in Indien und China gleichwertig, aber deutlich billiger zu haben: Software, Forschung und Entwicklungen. Innovationen kommen nicht mehr aus den alten Industrieländern. Computer, Digitalcameras und Gentechnik sind die besten Beispiele. Übrig bleiben die Bereiche, die prinzipiell nicht ins Ausland zu verlagern sind: Verwaltungen, Polizei, Altenheime, Supermarkt, Fensterputzer, Pinkelbuden und das Bestattungswesen. Eine unbarmherzige Kausalkette markiert den Niedergang Deutschlands: >Keine industriellen Jobs >Dauerarbeitslosigkeit >fehlende Steuereinnahmen >fehlende Nachfrage >sinkender Lebensstandard. In Asien aber steigt der Wohlstand und die Zukunftsperspektiven sind rosig.

Diese Entwicklungen laufen nicht ab, weil sie von Herrn G. Schröder, Frau Lieschen Müller, dem Strategen George W. Bush, dem Visionär Mao Tse Tung oder dem unbeugsamen Fidel Castro gesteuert werden oder wurden. Niemand steuert diese Entwicklung. Diese Entwicklung steuert uns. Kurzzeitig in kleinen, langfristig in grossen Krisen.

 

Montagsdemonstrationen und Eierwerfer ...

... sind hoch gefährliche Anzeichen einer weiteren Wende: Das Volk fühlt sich von seiner Regierung drangsaliert. Das Volk amüsiert sich nicht, es geht auf die Barrikaden. Nichts ist gefährlicher für ein Staatswesen. Wenn das Volk auf die Strasse geht, muss es beruhigt werden. Man kann kein ganzes Volk einsperren oder erschiessen. Das wussten schon die alten Römer. Nur aus diesem Grund haben sie 'Brot und Spiele' erfunden, nicht aus Mitleid oder sozialer Verantwortung.

Ob der Kanzler Schröder, Westerwelle, Merkel, Gysi oder Stoiber heisst, wie viel vor der Wahl gelogen oder versprochen wird, ob im Iraq gefoltert wird oder der Ölpreis auf dem Weltmarkt steigt - alles egal: Wenn die Bude kalt ist, man nicht mehr bei Aldi ordentlich einkaufen gehen, und in Ruhe sein Bier trinken und Fussball gucken kann, dann ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Fressen, Ficken und Fernsehen (Leipzig 1989) müssen gewährleistet sein. Wir sind das Volk und woher das Geld dafür kommt, interessiert uns nicht. Ein ganzes Land, sogar ganz Europa, gerät ins Wanken, wenn dieses Volk revoltiert. Jede Regierung muss und wird das zu vermeiden wissen.

 

Meine Prognose in dürren Worten:

Die Blütezeit Europas ist vorbei.
Es geht bergab.
Über lange Jahre und viele Generationen.
Wohldosiert.
... aber nur, wenn keine Katastrophe dazwischen kommt.

 

Jürgen Albrecht, 26. August 2004
update: 08.11.2007

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Nachtrag I 19. September 2004
Ein interessanter SPIEGEL 39/2004 mit vielen Fakten und Zahlen: JAMMERTAL OST

 

Quelle: CHIP November 2004

BusinessWeek January 10. 2005

 

Nachtrag II 24. September 2004
Im SPIEGEL 39/2004 ein lesenswerter Artikel: Das Ende der Illusionen

Kernsätze:

 

Nachtrag III 31. Dezember 2004
SPIEGEL 1/2005: Warten auf das Wunder
Zwei Jahre nach der Verkündung der Agenda 2010 hoffen die Bürger auf sichtbare Erfolge der Reformpolitik. Doch die Wirtschaft wächst auch 2005 und im Kriechgang, die Staatsschulden steigen.

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