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Das
Manifest der 11 Neurowissenschaftler
Wir verstehen über weite Strecken nicht, wie das Gehirn funktioniert.
Die Hirnforschung hat seit Jahrzehnten versucht, den Zusammenhang
von Struktur und Funktion des Gehirns aufzuklären. Ohne Erfolg.
Schlimmer noch: Es fehlt jeder Ansatz, dieses Problem in Zukunft zu
lösen. Das
Manifest der 11 führenden Neurowissenschaftler (2004)
weist auf diese fatale Situation hin:
Grundsätzlich setzt die neurobiologische Untersuchung des Gehirns
auf drei verschiedenen Ebenen an. Die oberste erklärt die Funktion
größerer Hirnareale, beispielsweise spezielle Aufgaben
verschiedener Gebiete der Großhirnrinde, der Amygdala oder der
Basalganglien. Die mittlere Ebene beschreibt das Geschehen innerhalb
von Verbänden von hunderten oder tausenden Zellen. Und die unterste
Ebene umfasst die Vorgänge auf dem Niveau einzelner Zellen und
Moleküle. Bedeutende Fortschritte bei der Erforschung des Gehirns
haben wir bislang nur auf der obersten und der untersten Ebene erzielen
können, nicht aber auf der mittleren. Das aber bedeutet, dass
wir kein Modell besitzen, das die Funktion des Gehirns in abstrahierter
Form beschreibt.
Das
Projekt Blue Brain
An der Technischen Hochschule von Lausanne (CH) versucht jetzt eine
Arbeitsgruppe unter Leitung von Henry Markram,
Professor an der EPFL, im Verbund mit IBM-Technik
ein Rattengehirn digital als Blue
Brain nachzubauen: "Mit Hilfe eines virtuellen 3D-Modells
werden die Wissenschaftler computergestützte Simulationen der
Hirnfunktionen auf der molekularen Ebene durchführen. Das IBM-System,
das an der EPFL installiert werden soll, wird eine Spitzenleistung
von mindestens 22,8 Teraflops erreichen und damit zu den leistungsstärksten
Supercomputern der Welt zählen."
DER SPIEGEL 7/2007, widmet ab Seite 148 diesem Projekt einen ausführlichen
Artikel, der in GEO.de
nachzulesen ist. Zitat zu den Zielen dieses Projekts: "Wie entsteht
das Bewusstsein im Orchester der Zellen, die jede für sich besinnungslos
vor sich hinfeuern? Wie kann es sein, dass im Zusammenspiel der Gene,
Proteine und Botenstoffe ganz von selbst der Geistesfunke zündet?
... Wer sehen will, wie der Geist aus der Biologie entspringt, der
muss diese Biologie eben nachbauen - bis ins Detail, ja letzten Endes
Molekül für Molekül. ... Die Pläne reichen derzeit
bis 2015; um diese Zeit will sich Markram mit seinen Leuten schliesslich
... für das Hauptziel rüsten: Ein ganzes menschliches Gehirn
als Computermodell mit seinen 100 Milliarden Zellen. ... 10.000 künstliche
Nervenzellen sind in Lausanne inzwischen zusammengeschaltet, für
2008 werden schon 100 Millionen angepeilt. ... Im Kunsthirn von Lausanne
fehlt den (Nerven-)Zellen noch das chemische Innenleben. Sie simulieren
den Reichtum des elektrischen Signalverkehrs, nicht aber die molekularen
Maschinen, die ihn hervorbringen: In ihrem Inneren gibt es keine Proteine,
die sich in der echten Zelle zum Beispiel zu Ionengattern zusammensetzen.
Und schon gar nicht gibt es die Gene, die angeschaltet werden, um
diese Proteine herzustellen. 'Die Moleküle bauen wir später
ein' sagt Projektmanager Felix Schürmann' ... Kritik kommt von
verschiedenen Seiten ..."
Die im SPIEGEL dargestellte Zielstellung (von Markram unwidersprochen,
vielleicht sogar autorisiert ...) findet sich in der Darstellung des
Projekts bei Wikipedia
so nicht wieder. Dort ist nur von der Simulation 'kortikaler Säulen'
in den nächsten 10 Jahren die Rede. Eine vernünftige Zielstellung
für die Simulation neuronaler Prozesse mit Hilfe von Computern
findet sich in dem Artikel 'Gehirn aus Bits und Bytes' in
WELT
ONLINE.
Was
ist von diesem Projekt zu halten?
Mir ist nur das bekannt, was aus der Presse und dem Internet über
dieses Projekt zu erfahren ist. Ich bin kein Hirnforscher, sondern
beurteile dieses Vorhaben unter methodischen Gesichtspunkten. Dabei
ergeben sich folgende Fragen/Probleme:
- Ziel
dieses Projekts ist die digitale Simulation des menschlichen Gehirns
bis hinunter auf die molekularer Ebene durch ein virtuelles 3D-Modell.
- Bisher existiert noch kein
virtuelles 3D-Modell für nur eine einzige lebende Zelle, das die molekularen Prozesse vollständig abbildet. Warum: Weil kein vollständiges Wissen über die hoch komplexen molekularbiologischen Prozesse und deren 'Hardware' existiert.
- Für
die gesamte mittlere Ebene des Gehirns fehlt jedes Verständnis.
- Die
einzelnen Hirnareale auf der obersten Ebene einschliesslich ihrer
Vernetzung sind heute nicht bis auf die molekulare Ebene erforscht.
- Auch
IBM kann heute keine Technik bereitstellen, um 100 Milliarden reale
Gehirnzellen des Menschen einschliesslich (!) ihrer molekularen
Steuerung zu simulieren.
- Es
existiert heute kein Betriebssystem und keine Programmiersprache,
um mit der gegenwärtigen digitalen Information Technology (IT)
eine solche Simulation zu bewältigen.
- Gesetzt
den Fall, man könnte das Gehirn als System simulieren, dann
benötigt dieses System Ein- und Ausgänge. Als Eingänge
könnte man sich künstliche Sensoren für die üblichen
fünf Sinne vorstellen. Aber schon bei den vielen namenlosen
Sinnen (Gleichgewicht, Lage der Gliedmassen, Tastsinn der Haarwurzeln,
Hunger- und Zeitgefühl ...) stellt sich die Frage, wie diese
Eingänge für das System zu realisieren sind.
- Noch
problematischer sind die Ausgänge des Systems: Welcher Aktor
reagiert auf Zorn, Liebe und Schmerz? Wie will man das Bewusstsein
des Blue Brain (eindeutig das Ziel des Projekts!) am Ausgang des
Systems 'erfühlen' und beurteilen - es gibt nicht einmal ein
Wort dafür! Die einzig realistische Lösung wäre,
einen lebenden Menschen an den Blue Brain anzuschliessen. Aber wie
schneidet man das Rückenmark auf und schafft ein Interface
zu Blue Brain?
- Dieses
Ein- und Ausgangsproblem existiert bereits beim kleinsten Teilsystem
von Blue Brain: Wie sind die natürlichen Eingänge zu realisieren
und welche technischen Mitteln können die natürlichen
Aktoren eines solchen Teilsystems simulieren? Die Schwierigkeit
dieses Problems nimmt mit der Komplexität des simulierten,
neuronalen Systems exponentiell zu: Wie will man das im besten Fall
vorhandene Bewusstsein von Blue Brain 'ausgeben'?
- Um
das Ein- und Ausgangsproblem für die Simulation eines kompletten,
menschlichen Gehirns generell zu lösen, müsste eigentlich
auch ein ganzer Menschen hinunter bis auf die molekulare Ebene als
virtuelles 3D-Modell simuliert werden. Warum eigentlich nicht gleich
so konsequent sein? Aber auch dann wäre das E/A-Problem nicht
völlig aus der Welt geschafft, denn wie könnte der so
entstandene Avatar beurteilen, ob seine Gefühle, Gedanken und
Befindlichkeiten mit denen seiner Schöpfer vergleichbar sind?!
Wie sollte er sein Bewusstsein und sein Weltbild mit dem tatsächlicher
Menschen vergleichen? Für dieses Problem existiert keine Lösung:
Sogar reale Menschen, besonders wenn sie sich lieben, geben sich
die grösste Mühe, sich gegenseitig zu verstehen ... und
scheitern in den meisten Fällen.
- Gesetzt
den Fall, ein Avatar aus Second Life würde in unsere Welt kommen
und nicht wissen, was eine Grafikkarte ist. Er hätte alle technischen
Möglichkeiten, die Leiterplatte virtuell zu simulieren. Würde
er nach der vollständigen Simulation verstehen, wie die Grafikkarte
funktioniert? Zu dieser Erkenntnis könnte er nur gelangen,
wenn er gleichzeitig auch im Besitz des gesamten Wissens heutiger
Grafikkarten-Hard- und -Softwarespezialisten wäre. Genau dieses
Wissen aber ist allein aus der Simulation der 'Hardware' eines beliebigen
Systems heraus nicht zu ermitteln.
- Der
Umkehrschluss ist genau so wichtig: Der Avatar kann die Grafikkarte
ohne das 'Hintergrundwissen' überhaupt nicht simulieren. Um
die Funktion vollständig erkennen zu können, muss auch
der reale Prozess in der simulierten Grafikkarte simuliert werden.
Dafür aber muss das vollständige Wissen über die
Ein- und Ausgänge sowie den ablaufenden Prozess vorhanden sein.
Ohne dieses Wissen kann die Hardware der Grafikkarte zwar simuliert,
ihre Funktion aber nicht verstanden werden. Diese Grundsätze
gelten für jedes beliebige System und erst recht für das
menschliche Gehirn.
Facit
Die hier sichtbar werdenden Probleme sind fundamental. Lösungen
für die meisten dieser Probleme sind in naher Zukunft nicht in
Sicht. Es ist mit seriösen, wissenschaftlichen Grundsätzen
unvereinbar, sich mit dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik
das Ziel zu stellen, ein menschliches Gehirn mit einem virtuellen
3D-Modell, vollständig bis hinunter auf die molekulare Ebene,
zu simulieren. Es ist fraglich, ob es jemals eine solche Zielstellung
geben kann.
Aber egal, mit welcher abgerüsteten Zielstellung man am Blue
Brain forscht, ich bin sehr dafür, an diesem Projekt zu arbeiten.
Man kann dabei nur klüger werden. Auch wenn das entscheidende
Ergebnis vielleicht darin besteht zu erkennen, dass in heute absehbarer
Zeit kein virtuelles 3D-Modell des menschlichen Gehirns existieren
wird.
Links
zu Blue Brain
Ein Nachtrag ...
Nach Überlegungen zum Strukturalismus:
... Aber auch grundlegende Irrtümer kann man mit dieser Methode aufdecken: Wer beispielsweise das menschliche Gehirn simulieren will (Blue Brain Projekt), die mehr als 100 Milliarden Neuronen (Elemente) unseres Gehirns nicht modellieren kann, noch viel weniger aber ihre biochemischen Relationen als Funktion der Zeit (!!) im Detail kennt (und diese Komplexität nie beherrschen wird), der ist ganz einfach als Geisterfahrer auf dem Holzweg. Mehr bei www.storyal.de ...
Ausserdem: Jede Zelle enthält das Genom, und das ist dynamisch ...!
Blue Brain zeigt, wie naiv die meisten Menschen sind. Und wie ahnungslos.
26.06.2010 10:29
Die Steigerung von Blue Brain:
Das Human Brain Project (HBP)
Kann man sich beim gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaften, speziell der Hirnforschung,
so einer Zielstellung verschreiben:
"The goal of the Molecular Neuroscience pillar is to collect strategically selected data on molecular
systems in animal and human brain cells and to integrate the data in molecular level models of
neurons, glia and synapses, making it possible to connect genes and the genome to cells and cell types,
circuits and physiology, behavior and disease." Zitiert aus www.humanbrainproject.eu ...
Mit grosser Wahrscheinlichkeit sind EU-Institutionen einem metaphysischen Projekt von Henry Markram
auf den Leim gegangen und bereit, eine Milliarde Euro (!) für ein Hirngespinst auszugeben!
Details sind hier nachzulesen: www.storyal.de ...
07.06.2013 04:38
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