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Kazan ...? Nie gehört!
Kazan war in den Zeiten der Sowjetunion kein touristisches Zentrum. Es gab Schiffsreisen auf der Wolga, die mit Sicherheit Kazan berührt haben, ich aber habe von Kazan bewusst noch nie etwas gehört. Dabei ist Kazan heute eine Grossstadt mit 1,3 Millionen Einwohnern. Sie liegt 750 Kilometer östlich von Moskau am Zusammenfluss von Wolga und Kazanka. Kazan ist die Hauptstadt der Republik Tatarstan innerhalb der Russischen Föderation. Im Jahr 2005 feierte Kazan sein Millennium, das 1.000-jährige Bestehen. Pünktlich zum Millennium wurde die Kul-Scharif Moschee fertig. Sie steht innerhalb der Kremlmauern und kann als Symbol für diese multireligiöse Stadt gelten, in der Tataren (52 %), Russen (38 %), Tschuwaschen (2 %) und andere Volksgruppen absolut friedlich miteinander zusammenleben.
Bei meiner letzten Reise, weit nach Osten, existierte die grosse, weite Sowjetunion noch, mit der sich die DDR brüderlich und auf ewig verbunden fühlte. Im Jahr 1988 war ich das letzte Mal in der Sowjetunion, 14 Tage auf der Krim. Erstaunt stellte ich fest, dass die Sowjetbürger den Wert einer konvertierbaren Währung erkannt hatten. Auch in der Sowjetunion gab es schon lange Läden, in denen man nur mit Dollar oder D-Mark einkaufen konnte. Aber erst Ende der 80-er Jahre begann in den touristischen Hochburgen die Jagd auf die Devisen. Erste Zeichen des kommenden Umbruchs und des Endes der Ewigkeit.
In den letzten zwanzig Jahren war ich viel unterwegs, aber nie wieder in Russland. Jetzt wurde ich von alten Freunden nach Kazan eingeladen und war gespannt, was ich dort sehen werde und wie viel Russisch sich in meinen grauen Zellen noch aktivieren lässt! Hier sind Bilder und Eindrücke von einer kurzen Reise nach Kazan.
Der Kreml von Kazan an der Kazanka
Mariä-Verkündigungs-Kathedrale im Kreml von Kazan
Die Kul-Scharif Moschee im Kreml von Kazan - eingeweiht im Jahr 2005
Blick vom Kreml über die Kazanka
Im Zentrum von Kazan
Die Grossstadt Kazan
Das Jahr 1005 gilt als offizielles Gründungsdatum der Stadt. Zu dieser Zeit lag die Stadt an der Nordgrenze des bulgarischen Reiches und wurde bald zu einem wichtigen Handelszentrum. Nachdem Kazan' im 13. Jahrhundert Teil des Reiches der Goldenen Horde war, wurde die Stadt 1438 Hauptstadt des Khanats Kazan'. Zu dieser Zeit wurde auch der heute über die Grenzen Russlands hinaus bekannte Kreml erheblich ausgebaut. Nach der Eroberung Kazans durch Iwan den Schrecklichen 1552 wurde die Stadt Teil des Russischen Reiches und wuchs in den folgenden Jahrhunderten zu einer der wichtigsten Städte des Imperiums heran.
Heute hat sich Kazan als bedeutender Industriestandort innerhalb der Russischen Föderation etabliert. Neben der Textil- und Lebensmittelindustrie ist die Stadt vor allem für ihre beiden Flugzeugwerke international bekannt. In den letzten Jahren profitierte die rohstoffreiche Region von der international steigenden Nachfrage nach Öl und Gas und gilt heute als eine der reichsten Regionen in der Russischen Föderation. Besonders für das Millennium wurde in Kazan sehr viel investiert. In den letzten fünf Jahren hat sich Kazan zur Boomtown entwickelt. Vom Flugzeug aus sieht man viele Schornsteine rauchen - das kann man in Deutschland schon seit Anfang der 90-er Jahre nicht mehr beobachten.
Faszinierend ist zu sehen, wie das alte Russland, die nicht mehr existierende Sowjetunion und die Investitionen der Neuzeit das Gesicht dieser Stadt prägen. Grosse Unterschiede werden sichtbar in der Architektur, der sozialen Lage der Menschen und in der Infrastruktur. Die Umgebung Kazans ist durch die Kazanka und die Wolga geprägt. Mit dem Bau des Wasserkraftwerkes bei Kuibyschew wurde die Wolga von 1953 bis 1957 aufgestaut und es ist eine Seenlandschaft entstanden. Die Vision Lenins wurde umgesetzt: Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes. Das Land ist inzwischen elektrifiziert, aber Sozialismus und Kommunismus sind Geschichte. Der Kapitalismus und die Globalisierung haben auch in Tatarstan gesiegt.
Der Ringplatz - Der zentrale Treffpunkt von Kazan
Die Baumannstrasse - Flaniermeile
Lenin steht immer noch vor dem Regierungsgebäude und
die Universität trägt seinen Namen: Uljanowsk-Universität
Lenin hat hier studiert und revoltiert und wurde als Student von Kazan aus in die Verbannung geschickt
Viele Kirchen und Moscheen stehen in Kazan - Alle haben, inzwischen hervorragend restauriert, die Sowjetunion überstanden
Auf dem lebhaften Zentralmarkt von Kazan
Reklame hat die zu Sowjetzeiten allgegenwärtigen Losungen ersetzt
Zum Millennium im Jahr 2005 wurde die Metro von Kazan eröffnet.
Eine Fahrt kostet 10 Rubel = 28 €Cent.
1965 kostete eine Fahrt auf der Moskauer Metro zwei Kopeken ...
Gedankensplitter - Kazan/Russland heute
- Überwältigende Gastfreundschaft aller Menschen, die wir getroffen haben!
- Bewundernswert, wie hier verschiedene Religionen friedlich zusammenleben.
- Intensive Diskussionen über den grossen vaterländischen Krieg, den Krieg im Kaukasus und
die labile wirtschaftliche/soziale Lage.
- Kazan und die hier wohnenden Menschen sind voll informiert und sie denken viel eher europäisch, als asiatisch.
- Das Warenangebot und die Preise entsprechen in etwa dem Standard in Deutschland: Das ist Globalisierung.
- Es gibt Ausnahmen. 1 Kilo geräucherter Lachs kostet 220 Rubel, auch Kaviar ist relativ billig.
- Die Benzinpreise sind deutlich niedriger. Ein Liter Benzin = ca. ein Dollar. Wechselkurs: 1 Euro = ca. 36 Rubel.
- In Tatarstan existiert ein Mindestlohn: 7.000 Rubel/Monat = ca. 200 Euro.
- Die Renten sind deutlich niedriger als in Deutschland.
- Das Strassenbild von Kazan unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem einer europäischen Stadt
- Genau so viele unterschiedliche Automarken sind zu sehen, wie auf Deutschlands Strassen
- Die Wirtschaft floriert und ist privatisiert. Tatarstan erlebt seit fünf Jahren einen deutlichen Wirtschaftsaufschwung.
- Aber auch hier geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander.
- Gutes Essen und viel Tee - Wodka trinken die Tataren weniger als die Russen ... wenn Ramadan ist.
- Deutsch wird seit Jahrzehnten in der Schule und an der Universität gelehrt und gelernt.
- Trotzdem muss man Russisch sprechen. Mit Deutsch oder English kommt man nicht weit.
- Die Schüler in der Grundschule tragen Schuluniform und hier sind die Lehrer noch Respektspersonen.
- Es existiert ein 'Deutsches Haus der Republik Tatarstan' (Vereinigung der Wolgadeutschen).
Die St. Katharina-Kirche ist der Sitz des Deutschen Hauses. Noch ähnelt sie innen mehr einer Turnhalle, als einer Kirche.
- Statt Internet-Cafés existieren finstere Internet-Klubs mit martialischen Sicherheitsleuten: Hier wird um Geld gespielt.
- In manchen dieser Klubs kann man aber auch (unzensiert) ins Internet: 1/2 Stunde für 50 Rubel.
- Die Altbauten besitzen trotz Wintertemperaturen von minus 25 Grad immer noch keine Wärmedämmung.
- Das Wochenende verbringen Russen und Tataren am liebsten in Familie auf der Datscha.
Natürlich ist sie ausgestattet mit der russischen, holzbeheizten Banja - Wunderbare Entspannung!
- Das Kabel-Fernsehen bietet in Kazan 40 Programme, eines davon in tatarischer Sprache, keine ausländischen Sender.
Alte Frauen bessern ihre Rente auf und verkaufen in der Stadt und an den Ausfallstrassen Blumen und Gemüse aus dem eigenen Garten
Auch alte russische Holzhäuser sind noch im Stadtbild von Kazan zu sehen
Die 'Platte' wird für billige Wohnungen noch dringend gebraucht
Dollar, Credit Cards und Computer ... aber auch der Abakus lebt immer noch!
Neubauviertel überall, aber es dauert, bis auch die Infrastruktur fertig ist
Überall werden Eigentumswohnungen gebaut - Quadratmeterpreise ab 1.500 Euro aufwärts
Die Umgebung von Kazan
Das Umland von Kazan ist durch die Wolga geprägt. Flaches Land mit viel Wasser. Auf den Feldern sieht man Mähdrescher. Am Abend brennen viele Feuer: Das Rapsstroh wird verbrannt. Alte Holzhäuser, alte Plattenbauten und neue Villen. Wie ist die Landwirtschaft organisiert? Mir fehlen die Informationen. Wir fahren nach Kamskije Poljarny, 150 Kilometer süd-östlich von Kazan. Ein stillgelegtes Atomkraftwerk, eine Plattenbau-Kleinstadt und eine von vier 'Sonderzonen', die in Russland eingerichtet wurden: Nach dem Vorbild von Las Vegas erhielten hier private Investoren zeitlich begrenzte Lizenzen für den Betrieb von Spielcasinos. Am Rande der Stadt ist eine bunte Glitzerwelt entstanden, Poker, Black Jack, einarmige Banditen und viele dienstbereite Mädchen in den Hinterzimmern und VIP-Etablissements. Die Architektur wurde aus Amerika importiert: Stahlgerüste, Bauplatten und bedruckte Plastikplanen als Fassaden. Es sieht wie eine Vorstadt von Las Vegas aus, aber noch wird hier nur Russisch gesprochen. Ausländer verirren sich wohl nur selten her. Noch ist das der Tummelplatz reicher Oligarchen und armer Glücksritter.
Die Wolga bei Kazan im Gegenlicht
Die Wolga südlich von Kazan
Auf dem Weg nach Kamskije-Poljarny
Wohnhäuser in Kamskije-Poljarny
Tat(arstan) Vegas in Kamskije-Poljarny
Kirchen und Klöster
In der Stadt und in der Umgebung von Kazan 'arbeiten' wieder viele orthodoxe Klöster und Kirchen. Sie sind alle in einem sehr guten baulichen Zustand oder in der Rekonstruktion. Nach 1989 stammte das erste Geld dafür vom Staat. Inzwischen fliessen private Spenden von reichen Gönnern und von den Gläubigen.
Die Wratija Swijaschskiji Wogorodize-UcpenskiJi Monastyr liegt (heute) als Insel 30 Kilometer westlich von Kazan in der aufgestauten Wolga und wurde 1551 gegründet. Das Kloster ist per Schiff und inzwischen auch über einen aufgeschütteten Damm und eine neue Strasse zu erreichen. Es ist Sonntag und viele Besucher sind auf die Insel gekommen. Man hat den Eindruck, hier ist die Zeit stehen geblieben. Aber dieser Eindruck täuscht. Von 1920 bis in die 50-er Jahre hatte die Sowjetmacht hier einen Gulag eingerichtet. Oppositionelle waren der Willkür ihrer kommunistischen Bewacher ausgeliefert. Mehr als 5.000 Menschen sind in diesem Gulag umgekommen. Bis 1993 befand sich hier eine geschlossene Anstalt für psychisch Kranke. Erst danach wurde die ganze Insel wieder der Kirche zurück gegeben. Der Wiederaufbau ist im Gange, aber noch lange nicht abgeschlossen. Es ist sehr erstaunlich, dass Ikonen und andere Kirchenschätze siebzig Jahre Kommunismus überlebt haben. Sie wurden vergraben, versteckt und teilweise ins Ausland gebracht. Die Fassungen für die Ikonostasi werden neu gebaut und sind teilweise frisch vergoldet.
Die Klosterinsel Wratija Swijaschskiji Wogorodize-UcpenskiJi Monastyr
Strasse zur Klosterinsel Wratija Swijaschskiji Wogorodize-UcpenskiJi Monastyr
Plan der Klosteranlage
Links Chram Nikolaja (1556) - Rechts Sobor Uspenija (1561)
Im Inneren der Kirche Sobor Uspenija
Die älteste Holzkirche Sobornyji Chram aus dem Jahr 1551 wird rekonstruiert
Ikonostas in der alten Holzkirche Sobornyji Chram von 1551
Links Sobor Woschieji Materi (1906) - Rechts Chram Sbjatowo Zerzija (1604)
Ikonen aus der Kirche Chram Sbjatowo Zerzija
Diese Holzhäuser haben die Wirren der letzten 100 Jahre überdauert ...
Links zu Kazan
Informationen über Kazan auf Deutsch www.kazan-memory.uni-tuebingen.de
Informationen über Kazan auf English http://kazan.ws/eng/
Wikipedia über Kazan http://de.wikipedia.org/wiki/Kasan
Ikone der Gottesmutter von Kazan www.innovations-report.de
Millennium von Kazan www.kazan1000.ru/eng/
Kazan - The Capital of Tatarstan http://www.kcn.ru/tat_en/kazan/
Informationen über Tatarstan www.uni-kassel.de/
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