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Gedanken zum Tag der Deutschen Einheit

 

   
Was war heute vor 24 Jahren?

In meinem Kalenderbuch von 1989 steht unter dem heutigen Datum: "In der Nacht: Züge mit Ausreisewilligen aus Budapest, Warschau und Prag durch die DDR in die BRD. Wie soll das weiter gehen??" Einen Monat später, am 04. November 1989, war auch ich auf dem Alex: Die grosse Demonstration gegen die SED und das Politbüro. Motto: Ohne Gewalt. Das erste Mal trauten sich Menschen mit Plakaten (Transparenten) und Reden gegen die DDR-Regierung auf die Strasse! Ein paar Tage später, am 09. November 1989, fiel "plötzlich und unerwartet" die Mauer. Die Demonstration auf dem Alex, die Züge mit ausreisenden DDR-Bürgern, die vorangegangenen Montagsdemonstrationen in Leipzig (... Heldenstadt) und, ganz entscheidend, der Mauerfall, waren der Anfang vom Ende der DDR.

 

Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes

Zum 3. Oktober 1990 haben diese Ereignisse keine emotionale Verbindung. In einer Sondersitzung in der Nacht vom 22. auf den 23. August 1990 beschließt die Volkskammer mit 294 Stimmen, bei 62 Nein-Stimmen und sieben Enthaltungen den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23 GG zum 3. Oktober 1990. Dass der Tag der Deutschen Einheit keinen emotionalen Bezug zum historischen Geschehen des Jahres 1989 besitzt, ohne das es keine deutsche Wiedervereinigung gegeben hätte, ist ein schwerer, trauriger, politischer Fehler. Dieses Datum wurde von der Kohl-Regierung gegen Widerstände aus der noch existierenden DDR durchgesetzt.

Der Streit um das Datum des Gedenkens an die Wiedervereinigung Deutschlands zeigt, wie gespannt und ambivalent das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung war. Ganz im Gegensatz zu der Zeit vor und nach dem Mauerfall 1989. Die Euphorie der Deutschen über den Fall der Mauer war am 3. Oktober 1990 längst verflogen. Die Befürchtungen der Westdeutschen waren berechtigt: Die Wiedervereinigung wird sie viele Milliarden der guten, harten D-Mark kosten. Die Ostdeutschen hatten schon im Frühjahr 1990 erlebt, wie die DDR-Wirtschaft zusammenbrach. Viele waren bereits zum Tag der Deutschen Einheit arbeitslos, ein in der DDR völlig unbekanntes Phänomen. Zukunftsängste liessen keine Euphorie und kaum Freude über den "Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23 GG" aufkommen.

 

Die schwierige Konversion ist gelungen

Heute ist das alles Geschichte. Eine ganze Generation lebt inzwischen in der Bundesrepublik, die diese Ereignisse aus eigenem Erleben nicht kennt. Gut so. Nach fast 25 Jahren sehe auch ich inzwischen die Probleme der deutschen Wiedervereinigung gelassener und objektiver: Zwar wurden viele politische Fehler gemacht, aber es musste aus dem Stand eine historisch einmalige Situation bewältigt werden: Die Überführung einer Diktatur in ein demokratisches Staatswesen. Die Kohl-Regierung besass zwar ein Innerdeutsches Ministerium, dort aber gab es keinen Plan A für den Mauerfall und auch keinen Plan B für die Wiedervereinigung!

Im Endergebnis ist heute festzustellen, dass diese schwierige Konversion ohne Gewalt und Blutvergiessen und ohne soziale Unruhen gelungen ist. Es gab und es gibt viele Ungerechtigkeiten, aber es geht heute allen ehemaligen DDR-Bürgern materiell besser, als zu DDR-Zeiten. Wer das abstreitet, hat ein Brett vor dem Kopf. Allerdings war es relativ einfach, den geringen Lebensstandard der DDR-Bürger im Jahr 1989 zu halten und zu verbessern. Wesentlicher ist, "materiell besser" heisst nicht automatisch auch "zufriedener und glücklicher"! Mehr dazu bei www.storyal.de ...

 

Diktatur von rechts oder links - Unannehmbar!

Für mich war und ist nicht die materielle Seite dieses Umbruchs entscheidend. Die intellektuelle Bevormundung und die Realitätsverweigerung der SED waren für mich schlimmer als Horch & Guck, die Reisebeschränkungen und die Plan- und Mangelwirtschaft. Diese Partei hat bestimmt, was ich zu denken, zu lesen und zu tun hatte. Die SED war borniert und ideologisch versteinert, aber im Besitz der einzig rechtmässigen Wahrheit! Das war und das ist auch in Zukunft absolut unannehmbar. Deshalb ist der Pluralismus für mich das Beste an der Wiedervereinigung. Der Tag der Deutschen Einheit ist völlig ohne Belang. Aber spätestens am Sonntag kann ich mir den neuen SPIEGEL*) kaufen - DAS ist DIE Errungenschaft!

*) 1962/63 habe ich mit allen offiziellen Möglichkeiten in Leipzig erfolglos versucht, den SPIEGEL in der damaligen Deutschen Bücherei im Original zu lesen. Ich wollte mir selber ein Bild von der "Spiegel-Affäre" machen, die ein grosses Thema (contra Strauß) auch in den DDR-Medien war. Für alle DDR-Bürger war es unmöglich, an den SPIEGEL heranzukommen. "Westzeitungen" waren verboten.

 

Blick zurück

Es gibt immer noch Frust, Unzufriedenheit und Legendenbildung. Manche wünschen sich sogar die Mauer zurück ...! Angeblich mehr West- als Ostdeutsche! Gegen solche Überlegungen hilft, sich einfach vorzustellen, wir würden heute nicht den Tag der Deutschen Einheit, sondern am kommenden Montag, 07. Oktober 2013, den 64. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik feiern! Wären die alten Genossen intelligenter gewesen und hätten sie sich an ihre angeblich "wissenschaftliche Weltanschauung" gehalten (Die Widersprüche sind die Triebkraft der Gesellschaft), so wäre das durchaus möglich gewesen.

Wir hätten immer noch keine konvertierbare Währung, sondern Plan- und Mangelwirtschaft, denn ohne verteilte Intelligenz, Unternehmertum und Privatinitiative wäre das DDR-System chancenlos dem globalen Kapitalismus unterlegen. Wie aber sähen unter diesen Verhältnissen unsere Städte und Dörfer aus, die Dächer, die Strassen, die Infrastruktur? Computer, Smartphones, Digitalcameras. Wir hätten diese Technik vielleicht, aber wären so weit entfernt vom internationalen Stand der Technik, wie damals 1988 beim berühmten DDR-Megabyte-Chip. Nur die Stasi wäre mit Abhörtechnik a la NSA ausgestattet! Kein Gedanke daran, einfach mal ein Flugticket nach Paris oder Honkong zu buchen. Wie sollte man das bezahlen? Auch Löhne und Renten würden in Mark der DDR ausgezahlt (Die Rentner haben in Mark der DDR eingezahlt, bekommen aber jetzt eine Rente in Euro). Europa wäre ohne den Mauerfall wahrscheinlich nicht weiter als heute. Nationalismus hat sehr viel mit Stalinismus und Sozialismus gemein.

Sicher gäbe es auch positive Aspekte: Das Bildungs- und das Gesundheitssystem, die christlichen Werte,
an die sich die DDR-Bürger viel eher gehalten haben, als ihre Brüder und Schwestern im Westen.
Mehr aber fällt mir kaum noch ein ...

 

Es hätte uns nichts Besseres passieren können

Meine subjektive Sicht der Dinge: Wir haben Glück gehabt,
dass wir in den letzten 24 Jahren nicht mehr in der DDR gelebt haben.
Trotz aller Probleme: Uns ehemaligen DDR-Bürgern hätte kaum etwas Besseres passieren können!

 

 

 

Links zum Thema

Mauerfall und Neustart www.storyal.de ...

Wir sind die Sieger der Geschichte www.storyal.de ...

Die Irrtümer der Marxisten www.storyal.de ...

Die Grenzen der Demokratie www.storyal.de ...

 

 

Jürgen Albrecht, 03. Oktober 2013
update: 20.11.2013

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