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Was kostet mein kleiner Bruder?
   
800 Millionen Euro für die Jewish Claims Conference

Deutschland stockt seine Hilfe für Holocaust-Überlebende auf. In Verhandlungen mit der Jewish Claims Conference (JCC) hat sich das Finanzministerium dazu verpflichtet, für die Jahre 2014 bis 2017 insgesamt 772 Millionen Euro für die häusliche Pflege von Schoah-Überlebenden zur Verfügung zu stellen. Etwa 56.000 Menschen in 46 Staaten sollen von den Zahlungen profitieren. Mehr als ein Drittel von ihnen lebt in Israel.

Die Einigung zwischen Berlin und der JCC kommt, kurz nachdem die Claims Conference von einem Betrugsfall eingeholt worden ist. Anfang Mai hat ein Gericht in New York den ehemaligen JCC-Mitarbeiter Semen Demnitser schuldig gesprochen, weil er zusammen mit 30 weiteren Beschuldigten zwischen 1993 und 2009 insgesamt 57 Millionen US-Dollar erschlichen hatte. Die Kosten des Betrugs wurden komplett von der Bundesrepublik getragen. Mehr bei www.spiegel.de ...

Für den Vier-Jahreszeitraum 2011 bis 2014 war noch eine Summe von knapp 514 Millionen Euro vereinbart worden. Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Graumann, sagte der "Jüdischen Allgemeinen", viele der Überlebenden seien auf die finanzielle Hilfe mehr als angewiesen, da sie unterhalb der Armutsgrenze lebten. Quelle: www.dradio.de/nachrichten/ 

Kommentar Al: Entschädigungen in jeder Höhe sind nach solchen Verbrechen angemessen. Es stellt sich lediglich die Frage nach den gleichen Massstäben und der Gerechtigkeit.

 

Kriegstote des II. Weltkriegs
Kriegstote des II. Weltkriegs

Kriegstote des II. Weltkriegs

Diese Tabelle zeigt, dass es im Zweiten Weltkrieg nicht nur den Holocaust an den Juden gegeben hat. Ich akzeptiere ausdrücklich nicht die Sicht der jüdischen Organisationen, die auf der "Singularität des Jüdischen Holocaust" bestehen.

Jeder Holocaust ist singulär.

Wer will wie entscheiden, ob beispielsweise die Auslöschung der Kultur der Inkas und die der Indianer schlimmer war, als die Vernichtung der Aboriginals bei der Landnahme Australiens? Es waren Holocausts und die Täter waren die Weissen. Die Methoden waren andere und die Ergebnisse auch. Aber es waren Holocausts und es waren singuläre Katastrophen, die schlimmsten in der jüngeren Geschichte der menschlichen Zivilisation.

Nicht nur die Juden waren Opfer dieses von Hitler und den Nationalsozialisten angezettelten Krieges. Die jüdischen Organisationen wehren sich auch gegen jede Relativierung. Aber sehen Sie sich diese fürchterliche Liste an! Allein die Zahlen der Kriegstoten des II. Weltkriegs sind ja buchstäblich unfassbar: Wer weiss beispielsweise noch, dass es 20 Millionen Kriegstote in der Sowjetunion gab plus 3 Millionen tote, sowjetische Kriegsgefangene? Wer kann sich heute noch 23 Millionen Tote überhaupt vorstellen ...?

Fast 15 Millionen tote Chinesen! Was hat Hitler mit China zu tun? Stichworte sind hier der Pazifikkrieg und die Achsenmächte. Ich selber habe im Jahr 2000 noch abgestürzte amerikanische Kampfflugzeuge aus dem II. Weltkrieg im australischen Bush besichtigt (Kalumburu, NT). Insgesamt hat dieser Weltkrieg fast 70 Millionen Menschen das Leben gekostet!

Und fast vergessen: Die Millionen deutscher Flüchtlinge, schuldlos umgekommen auf der Fluch oder heimatlos zu einem Neustart gezwungen nur mit dem, was sie auf dem Leibe hatten.

 

Was ist ein Leben wert?

Der jüdische Holocaust ist das schlimmste der unfassbaren Verbrechen Nazi Deutschlands. Noch nie in der Geschichte der Menschheit haben Menschen andere Menschen systematisch und industriell vernichtet. Das ist unter der Nazi Diktatur mit den Juden geschehen. Aber kein noch so schreckliches Verbrechen kann rückgängig gemacht werden. Und wer will objektiv entscheiden, wer von den 70 Millionen Toten des II. Weltkrieges und den überlebenden Opfern mehr, und wer weniger gelitten hat? Nicht einmal eine angemessene finanzielle Entschädigung ist möglich, denn der Verlust eines Menschen, der Bruch in einer Biographie, sind irreparabel und in Geld nicht aufzuwiegen.

Wer legt fest, wie viel eine jüdische Mutter kostet, die in Auschwitz vergast wurde? Wie aber will man mir gleichzeitig erklären, warum mein Bruder Gerd (6), der im Sommer 1945 an den Folgen des Hungers in der tschechischen Internierung gestorben ist, weniger oder mehr wert ist, als diese jüdische Mutter? 

Und: An wen sollen sich die 17 Millionen Deutschen wenden, um für vier Jahrzehnte DDR entschädigt zu werden?
Der Zweite Weltkrieg wurde für uns um 44 Jahre (In Worten: vierundvierzig Jahre!) verlängert. Die nächste Diktatur! Eingesperrt, Kollektivierung, Armut, Gewalt, Indoktrination, Bevormundung ... ohne Entschädigung! Und erst am 9. November 1989 (!) haben wir unsere Bewegungsfreiheit wiedererlangt!

Mehr bei www.storyal.de ...

 

Nur die konkrete Katastrophe ist fassbar

Unsere ganze Familie ging am 7. Mai 1945 von Waldenburg in Schlesien aus ‚auf die Flucht', wie man damals sagte. ‚Die Russen kommen!' das war Anlass genug, alles im Stich zu lassen. Meine Mutter hatte in den letzten Stunden unsere Sachen gepackt und dann die Wohnung noch einmal gründlich sauber gemacht und aufgeräumt. Am Abend gegen 19 Uhr fuhr unten auf der Strasse ein Auto mit Anhänger vor. Wir Kinder (Reiner, 14, Jürgen 9, Gerd 6) sahen das von oben aus dem Fenster. Unser Gepäck bestand aus einigen Koffern und jeder von uns hatte einen Rucksack auf dem Rücken, selbst genäht von unserer Mutter. Das Gepäck wurde auf den Anhänger geladen. Wir verliessen die Wohnung in der Überzeugung, in ein paar Wochen wieder zurück zu kommen. Ich weiss nicht, woher diese Gewissheit kam, aber es war immer davon die Rede, dass wir ja bald wieder zu Hause sind.

Dann sehe ich mich auf der Holzbank des Lastwagens sitzen, auf der linken Seite in Fahrtrichtung. Der LKW hat eine Plane, die hinten hochgeschlagen ist, sodass man hinaus sehen kann. Es ist kalt, wir haben Decken um die Beine. Der LKW ist voller Menschen (Arbeitskollegen meines Vaters), der Anhänger mit dem Gepäck schlingert hinter dem Motorwagen. Die Menschen im LKW schreien von Zeit zu Zeit laut auf. Zu uns gehört auch ein Feuerwehrauto. Es fährt vor uns, ständig hört man das 'Tatü-Tata'. Es wird dunkel, wir fahren an brennenden Autos vorbei. Die Autos fahren die ganze Nacht, ich schlafe ein.

Es ist wieder hell. Unser Auto wird angehalten und kontrolliert. Die Leute sprechen eine Sprache, die ich nicht verstehe. Unruhe und Angst auf dem LKW. Es wird verhandelt. Ein rundes, grosses Brot wird aus unserem Auto von den Kontrolleuren auf die Strasse geworfen. Ein vorbeifahrendes Auto fährt darüber. Schreie. Weinen. Die Männer müssen vom Auto steigen. Die Frauen zetern, Kinder flennen. Später steigen die Männer wieder auf, mein Vater ist dabei. Wir fahren weiter.

Der gleiche Tag? Ein anderer Tag? Wir müssen alle vom Auto steigen. Ich sehe das erste Mal richtig das rote Feuerwehrauto vor uns. Ich bin enttäuscht, dass es keine Leiter hat. Wir stehen mit unseren Rucksäcken auf einer Strasse mit grossen Bäumen am Rand. Das Feuerwehrauto und der Lastwagen mit dem Anhänger fahren los. Das Gepäck wurde nicht abgeladen. Aufruhr und Jammer in unserer Gruppe. Meine Mutter weint und ist verzweifelt, Vater versucht sie zu trösten. Überall viele Leute mit Gepäck, Autos, Handwagen, ein entsetzliches Durcheinander.

Das schrecklich verzerrte Gesicht meiner Mutter über mir. Sie schreit entsetzlich und zieht an meiner linken Hand. Mit einer Rasierklinge schneidet sie in mein Handgelenk. Ich werde aus dem Schlaf gerissen, heule, blute am Hals und an beiden Handgelenken. Es muss früh am Morgen sein. Wo bin ich, was ist los, was hat das alles zu bedeuten? Ein Morgen in einem lichten Wald mit hohen, dünnen Stämmen. Wir Kinder liegen auf Decken, zugedeckt mit Mänteln. Die Eltern kümmern sich um uns. Alle weinen, alle bluten, haben Wunden an den gleichen Stellen. Mein Vater tröstet mich: 'Sei ruhig, bleib liegen, es ist ganz warm, gleich ist es vorbei.' Vater und Mutter legen sich auch hin. Schön, dieser Wald. Durch die Wipfel sieht man die Wolken. Nichts tut mehr weh. Alles ist ruhig.

Es ist dunkel. Feuerwerk. Hohe Häuser einer schmalen Strasse, eine grosse Stadt. Wir laufen auf Kopfsteinpflaster leicht bergab. An beiden Seiten der Strasse johlende und winkende Menschen. Leuchtraketen, ein unbeschreiblicher Krach. Mutter hat mich an der Hand. Sie weint laut, zieht mich mit. Vor und hinter uns viele Menschen, alle mit Gepäck und Kindern. Vom Bürgersteig kommen Leute in den Zug der Flüchtlinge. Eine Frau wird geschlagen, sie will ihren Rucksack nicht hergeben. Er wird ihr weggerissen. Ich habe Gott sei Dank keinen Rucksack mehr. Aber es ist ein schreckliches Getümmel und Gedränge. Alle schreien durcheinander. Immer wieder Feuerwerk am dunklen Himmel. Und so wie vielen Leute stehen an der Strasse und lachen!

Unser Vater kommt nicht wieder. Wir warten den ganzen Tag. Als er am frühen Abend kommt, hat er so viele Blumen auf den Feldern gepflückt, wie man mit zwei Armen tragen kann. Gerd musste ins Krankenhaus, er hatte Bauchschmerzen von der Suppe beim Schlachtfest. Vater und Mutter wollten ihn besuchen. Sie durften ihn nicht sehen, es ging ihm zu schlecht. Jetzt ist er gestorben. Was heisst das: Beerdigung? Mutter weint, Vater ist weg, endlich kommt er mit den vielen Blumen wieder ...

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Jürgen Albrecht, 31. Mai 2013
update: 01.06.2013

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