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Eine lange Nacht mit J.K.

Jürgen Kuczynski und die Urenkel

   
Lange Nacht mit J.K

Deutschlandfunk: 16. November 2013, 23:05 - 2:00
Sechs Generationen auf Bücherjagd
Eine Lange Nacht über Jürgen Kuczynski und seine Familienbibliothek

Diese Sendung über meinen Spezialfreund J.K. habe ich mir gestern angehört. Über weite Strecken war es eine Heldenverehrung, die ich nicht teile. Meine Kritik habe ich auch wiedergefunden, aber sie wurde in wesentlich moderatere Worte verpackt.

 

Warum?

Drei Dinge haben mich bereits vor 24 Jahren gewundert 
und sie wundern mich nach dieser Sendung wieder: 

  • (A) Warum ist Jürgen Kuczynski heute noch als bedeutender Wirtschaftswissenschaftler anerkannt, obwohl er versucht hat, ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem wissenschaftlich zu fundieren, das eindeutig und weltweit gescheitert ist? 
  • (B) Was ist das für eine Art von Wissenschaft a la J.K, die vor allen Dingen parteilich ist und zuerst danach fragt, was in der aktuellen politischen Situation opportun ist? Parteilichkeit und Wissenschaft schliessen sich aus.
    War Jürgen Kuczynski nicht viel mehr Propagandist als Wissenschaftler?
  • (C) Warum wurde (und wird) J.K. im Westen als "schärfster Kritiker" des DDR-Sozialismus angesehen, obwohl es doch so eine Kritik nur in homöopathischer Dosierung gegeben hat?

Vielleicht war es nicht sein wissenschaftliches Werk, das beeindruckt hat, sondern viel mehr sein grossbürgerlicher Habitus, seine Weltgewandtheit und die grosse Zahl (4.100 !) seiner Veröffentlichungen? Welcher Inhalt seiner vielen Schriften aber ist von bleibendem Wert? Wer hat im Westen überhaupt ausser seinem Urenkel und den Memoiren etwas von J.K. gelesen?

 

Dialog mit meinem Urenkel

Gerade habe ich noch einmal im "Urenkel" geblättert: Das ist platte, einfältige Propaganda. Besonders wenn man dieses Buch 24 Jahre nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus liest. Wer wissen will, wie sich naive marxistische Heilsgewissheit anhört, sollte zu diesem Buch greifen: Jürgen Kuczynski, Dialog mit meinem Urenkel, Aufbau Verlag, 1983.

Schon im Vorwort ist ein entscheidender Irrtum,
die bizarre Sicht des "Wissenschaftlers" J.K. auf die Realität nachzulesen:

Jürgen Kuczynski Urenkel

Nicht das System hat Mängel und Schwächen, es sind die Menschen, die nicht zu dem System passen und deshalb noch kompatibel gemacht werden müssen! Das ist die parteiliche Sicht eines Marxisten auf diese Welt: Es kann nicht sein, dass sich Marx geirrt hat! Die Erde wird von den falschen Menschen bewohnt.

 

Fortgesetzter Dialog

Völlig neu war für mich in dieser Sendung die Information, dass im Jahr 1996 das Buch "Fortgesetzter Dialog mit meinem Urenkel" erschienen ist, in dem J.K. angeblich Selbstkritik übt und den "Glauben" an den Sozialismus mit Religion vergleicht. Angeblich ... Das will ich selber nachlesen!

Wie weit ist die Selbsterkenntnis bei J.K. noch gegangen? Aus meiner Sicht hat er die DDR immer idealisiert und die unübersehbaren Mißstände und Mängel verharmlost oder negiert (s.o.). Kein Wunder, mit der sozialistischen Realität an der Basis war J.K. nie konfrontiert. Auch deswegen war er nicht in der Lage, die entscheidenden Irrtümer des marxistischen Gesellschaftssystems zu erkennen und zu benennen. Unwahrscheinlich, dass er sich von wesentlichen Glaubensätzen der "wissenschaftlichen Weltanschauung" gelöst hat.

Vor einer Viertelstunde habe ich das Buch "Fortgesetzter Dialog mit meinem Urenkel" online für 0,3 Cent plus 3 Euro Versandkosten gekauft. Alle Werke von J.K. werden im Internet zu solchen Niedrigpreisen verramscht. Nicht überraschend.

Das Buch für 0,3 Cent "Fortgesetzter Dialog mit meinem Urenkel" ist heute (am 20.11.2013) angekommen und ich habe darin geblättert und gelesen. Im Jahr 1996 erkennt J.K., dass der reale Sozialismus untergehen musste:

Jürgen Kuczynski Urenkel
Seite 74

Jürgen Kuczynski Urenkel
Seite 75

Nicht Gorbatschow und Krenz sind schuld am Untergang der DDR (nach Ansicht Margot Honeckers), sondern Stalin. Der grosse Wirtschaftswissenschaftler sieht zwar Schwächen in der DDR-Wirtschaft, aber die sind nicht prinzipieller Natur - Unglaubliche wissenschaftliche Erkenntnisse!

Seinen persönlichen Beitrag beim Aufbau und der Stabilisierung des realen Sozialismus in der DDR spielt er geschickt und mit vielen Worten herunter. Sein Hauptargument: Ich war vom Zeitgeist hypnotisiert, dem niemand entkommen konnte (meine Worte, seine Argumentation von Seite 74 bis 84). Die meisten DDR-Bürger waren bei klarem Verstand. Wie kann das sein?!

Von einer Gleichsetzung des Sozialismus mit Religion habe ich nichts gelesen. Im Gegenteil. Die Heilsgewissheit ist ungebrochen und sie schwingt in jeder Argumentation mit: Nicht das System oder der Marxismus und schon gar nicht etwa Marx waren vom Prinzip her falsch oder haben geirrt - Die Ausführung war mangelhaft.

Und wieder spielt in dem gesamten Buch der Dialektische Materialismus und seine (sträflichst verletzten Prinzipien) keine Rolle. In den 50 Fragen, die J.K. sich selber stellt, kommen deshalb solche gravierenden Irrtümer nicht vor wie: Die Planwirtschaft und die zentral gesteuerte Wirtschaft, das nicht vorhandene Unternehmertum, der "gesetzmässige" Übergang von Kapitalismus zu Sozialismus (Historischer Materialismus), die Beschränkung auf Marx und der nicht vorhandene "Neue Mensch". In der Rückschau ist J.K auch sieben Jahre nach dem Untergang der DDR mit sich im Reinen und als parteilicher "Wissenschaftler" und politisch aktiver Kommunist von seiner wichtigen Rolle beim Aufbau des Sozialismus überzeugt. Etwas anderes war von J.K. auch nicht zu erwarten.

Wie habe ich schon einmal aus Anlass seines Todes geschrieben: 
Der Liebe Gott wird sich über den frommen Neuzugang gefreut haben.

 

Die Familienbibliothek

Eine völlig andere Geschichte ist die Familienbibliothek. Sie ist der grossbürgerlichen Herkunft von J.K. zu verdanken und nicht sein Verdienst. Sein bürgerlich-akademischer Hintergrund stellte einen der vielen Widersprüche in der Person Jürgen Kuczynski's dar: Im öffentlichen Leben war er Kommunist und der Arbeiterklasse verbunden, tatsächlich aber lebte er im grossbürgerlichen Ambiente, sammelte Bücher und schwärmt in seinen Memoiren im Stil eines extrovertierten Intellektuellen von Paris und London. Immer eitel, gefallsüchtig und auf Wirkung bedacht. J.K. war in der DDR privilegiert, er hatte hervorragende Kontakte in "den Westen" und mit Sicherheit immer den aktuellen SPIEGEL im Hause. Zur gleichen Zeit wurden den DDR-Bürgern die "Ochsenkopf-Antennen" von den Dächern gesägt, um das Westfernsehen zu verhindern.

Ein degoutantes Kapitel ist die Army- und Spitzeltätigkeit von J.K. Der Öffentlichkeit bleibt verborgen, wie viel Dreck er und seine Genossen da am Stecken haben. Dieses Milieu ist mir besonders zuwider und ich finde es beruhigend, dass auch diese Seite von Jürgen Kuczynski und seiner Schwester Ruth Werner gestern wenigstens dokumentarisch zur Sprache kam. 

 

Facit

Schön, dass die Familienbibliothek in den Bestand der Landesbibliothek Berlin eingegangen ist, hier gehört sie hin.

J.K. ist Geschichte und bereits in der Versenkung verschwunden. Heute weiss kaum noch jemand, wer J.K. war. Die Urenkel haben ganz andere Dinge als die Partei und den Sozialismus im Kopf. Noch ist Jürgen Kuczynski für alte Weggenossen interessant, aber in weiteren 25 Jahren nur noch für wenige Historiker. Und das ist gut so. 

Nicht zuletzt: Ich sehe keinen Grund, von meiner massiven Kritik an J.K. aus der Wendezeit etwas zurück zu nehmen.

 

 

Links

Zorniger Brief an J.K. www.storyal.de ...

Ein offener Brief an J.K. www.storyal.de ...

J.K. ist tot www.storyal.de ...

Wir sind die Sieger der Geschichte www.storyal.de ...

Die Irrtümer der Marxisten www.storyal.de ...

Kuczynski's Erben www.storyal.de ...

 

 

Jürgen Albrecht, 17. November 2013
update: 01.12.2013

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