VorbemerkungDer Titel ist das Beste an diesem Buch: Was Philosophen wissen und was man von Ihnen lernen kann *). Das Inhaltsverzeichnis verheisst interessantes Wissen. Die Kapitelüberschriften betreffen wesentliche Lebensbereiche. Wer würde nicht gerne mehr wissen, beispielsweise über das Denken, die Vernunft und das Selbstbewusstsein. Leider wird man durch das Lesen dieses Buches nicht schlauer. Ein Beispiel: Wissen wird hier verstanden als Wissen über den Begriff Vernunft, nicht aber über die Vernunft selbst. In diesem Buch geht um Sprache, um Begriffsinhalte:
Wenn ich meinen Begriff von Schicht hier anwende, so bewegt sich die Philosophie in einer völlig anderen Schicht als beispielweise ein Klempner, ein Ingenieur oder ein Molekularbiologe. Bei diesen Leuten geht es um reale Prozesse in der natürlichen Umwelt, die zu beeinflussen, zu bewältigen sind. In der Schicht der Philosophen geht es vorrangig um die Sprache, die in der Schicht der Klempner und Normalos gesprochen wird. Für sie ist die Sprache selbstverständlich, höchstens ein Metaproblem. Für Philosophen aber ist Sprache der eigentliche Gegenstand ihres Faches. Der Buchtitel ist ein klassischer Fall von "Gefangen in seiner Schicht". Dass Klempner etwas von Philosophen lernen könnten ist ein fundamentales Missverständnis. Das Missverständnis ist sogar auch umgekehrt vorhanden: Die Philosophen sind tatsächlich der Meinung, dass ihr Wissen in der Schicht der Anderen von Bedeutung sein könnte. Zu diesem Fehlschluss gelangen die Philosophen gerade deshalb, weil natürlich auch sie Gefangene sind in ihrer Schicht.
Was ist Wissen und was wissen Philosophen davon"Unser Wissen ist fehlbar" (Seite 16). Ja, natürlich. Viel entscheidender aber ist, dass philosophisches Wissen subjektiv ist. Es werden subjektive Meinungen bis hin zu subjektiven Gedankengebäuden geäussert und aufgebaut. Aber der Begriff "subjektiv" kommt bei Schnädelbach in diesem Sinne nicht vor.
Auf der Suche nach der Wahrheit stellt man fest, wie schwierig es allein ist, sich darauf zu einigen, was Wahrheit ist: Naturwissenschaftler und Ingenieure haben eine andere Auffassung von Wahrheit als Philosophen: Wahrheit ist für sie ein Qualitätskriterium für Wissen. Das entscheidende Wahrheitskriterium ist die Praxis: Nur der Sachverhalt ist wahr, der reproduzierbar ist und mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Exakt ist die Übereinstimmung nur durch numerische Messung und Vergleich mit der Natur zu ermitteln. Mit dieser Sicht existiert Wahrheit nur in speziellen Bereichen der Naturwissenschaften: Am ehesten sind wir ganz nahe an der Wahrheit, wenn Klein Mäxchen fragt, ob die 23 eine Primzahl ist. Endlich können wir Mäxchen wieder einmal tief und ehrlich in die Augen sehen und ohne jeden Vorbehalt ganz einfach die Wahrheit sagen: "Ja, mein Junge, das ist eine Primzahl." Ob diese Wahrheit aber objektiv wahr ist, kann ein Mensch nicht feststellen. Er ist nur in der Lage, etwas subjektiv wahrzunehmen. Aus subjektiver Wahrheit aber kann man kein objektives Wissen produzieren. Ob die Zahl 23 in einer anderen Galaxis oder einem anderen Universum immer noch eine Primzahl ist, kann niemand objektiv nachweisen. Ein anderes Beispiel: Blei existiert in der Natur, man kann es numerisch beschreiben: Blei mit der Ordnungszahl 82 besitzt einen Schmelzpunkt von 327,43 °C. Reproduzierbar besitzt es unter gleichen Umständen hier auf dieser Erde immer diesen Schmelzpunkt. Mehr Wahrheit und (bezogen auf diese Erde!) objektives Wissen existiert für Menschen nicht. Philosophisches Wissen ist kein naturwissenschaftliches Wissen, das man reproduzierbar messen und durch Vergleich mit natürlichen Phänomenen als wahr bezeichnen kann. Alles Wissen der Philosophen ist subjektive Meinung - Sie sagen dazu "Überzeugung" und wiegen sich in trügerischer Sicherheit, weil sie in der Lage sind festzustellen, ob Aussagesätze wahr oder falsch und in sich logisch konsistent sind (Seite 31). Ist ein Aussagesatz wahr, so ist aber noch lange nicht gesagt, dass auch das wahr ist, was ausgesagt oder behauptet wird. Hier noch ein wunderbar passendes Zitat aus der NZZ zum philosophischen Wissen: "Philosophische Überzeugungen sind – zumindest bis heute – dadurch charakterisiert, dass sie kontrovers sind. Es gibt kaum eine philosophische Position, die keine ernstzunehmenden Gegner hat." Schlüssiger ist nicht nachzuweisen, dass es sich bei dem vermeintlichen philosophischen Wissen in Wirklichkeit nur um subjektive Meinungen handelt.
HandlungEin ganzes Kapitel befasst sich mit Handlung. Mit folgenden Sätzen fasst der Autor selber zusammen, was die Philosophie über Handlungen weiss:
Was sagt uns das? Es geht wieder nur um Sprache, um die semantische Belegung von Begriffen. Die Grammatik einer Sprache interessiert. Die Logik der Sätze einer Sprache wird analysiert. Der sachliche Inhalt von Sätzen ist nebensächlich: Es geht nicht um Fachsprachen. In diesem Kapitel interessiert den Philosophen nicht das Handeln oder die Handlung als physische Tätigkeit. Es interessiert nicht, wie ein Mensch in einer bestimmten Situation handelt, sich verhält. Auch wie der Handel im Mittelalter ablief, ist uninteressant. In langen Abhandlungen geht es aber darum "das Handeln" von "dem Handel" sprachlich abzugrenzen.
WillensfreiheitIm Vorwort wird als Beispiel dafür, was Philosophen alles wissen, die Debatte über die Willensfreiheit angeführt:
Weil die Willensfreiheit ein so drastisches und aktuelles Beispiel ist, geht der unbedarfte Leser davon aus, Herr Schnädelbach wird in diesem Buch sein Wissen zum Problem der Willensfreiheit preisgeben oder wenigstens doch eine Position dazu beziehen. Fehlanzeige, falsch gedacht. Im Kapitel Handlung ist zwar von Willensfreiheit, von Wille und Handlung die Rede, aber wer lernt was aus diesen Darlegungen? Wille ist nach Kant das "Begehrungsvermögen". Entscheidend ist für Philosophen, ob ein objektiver Zweck dieses Begehren in Gang setzt, oder eine subjektive Vorstellung eines Zwecks dafür verantwortlich ist. Ist das für Leute, die in ihrer alltäglichen Arbeit ganz konkrete Probleme lösen müssen, überhaupt eine sinnvolle Fragestellung? Würde ihnen die Beantwortung dieser Frage bei ihrer Problemlösung weiterhelfen? Für die Philosophen ist diese Fragestellung dagegen zentrierend und wie in der Philosophie üblich gibt es zwei Meinungen und einen massiven Dissens. Aber kein konkretes Wissen:
Das Wissen der Philosophen zum Thema Willensfreiheit erschöpft sich in folgenden Sätzen, die unbestimmter nicht sein könnten: Es kann so, aber auch anders sein. Eine sachlich kompetente Position sieht anders aus:
Was für einen Nutzen können Hirnforscher aus diesem Statement ziehen, die gerade gemessen haben, dass unser Gehirn bereits eine Entscheidung getroffen hat, bevor sie unser Bewusstsein und unser Sprachzentrum erreicht?
FacitPhilosophen sind sich nicht bewusst, dass sie nur über subjektive Meinungen, nicht aber über objektives Wissen verfügen. Ausserdem ist ihr Wissen sehr speziell und nur nützlich in ihrer Schicht. Für ganz normale Leute "an der Basis" ist es ohne Wert und ohne Belang, denn hier wird Wissen benötigt, mit dem reale Probleme zu lösen sind. Wie bei Wittgenstein ist auch bei Schnädelbach exemplarisch zu beobachten, dass der Gegenstand der Philosophie die Sprache zu sein scheint (was Philosophen natürlich vehement bestreiten werden ...°)). Aber das im Titel behauptete Wissen existiert nicht oder es erschöpft sich in subjektiven Begriffsdefinitionen. Juristen und Theologen, die Exegese betreiben, können vielleicht von Philosophen etwas lernen. Ingenieure nicht. Der Titel des Buches ist genial, gleichzeitig aber grob irreführend. Zu Gunsten des Autors spricht nur, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht um einen bewussten Täuschungsversuch handelt. Der Philosoph ist wirklich der Meinung, dass jeder von seinem Wissen profitieren könnte. Irrtum, Herr Schnädelbach.
Vorsicht! Meine hier ironisch geäusserten Ansichten beziehen sich im Wesentlichen auf den Titel dieses Buches und auf die nicht erfüllbaren Erwartungen, die er weckt. Ich bin weit davon entfernt, meine kritische Sicht zu diesem Aspekt auf die Werke von Herrn Prof. Dr. Schnädelbach oder etwa auf die gesamte Philosophie zu übertragen. Hier taucht wieder das Problem der Komplexität auf: Menschen sind immer nur in der Lage, sich zu Details ein Urteil zu bilden. Das Ganze können sie nicht erfassen. PS: Nützlich könnte das Buch sein, weil es so viele interessante Zitate bekannter Philosophen enthält. °) Gibt man bei Google folgenden Suchstring ein: "der Gegenstand der Philosophie ist",
ZUGABE
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Seite 18 |
Seine Begründung:
Seite 21 |
Diese Begründung ist eine reine Behauptung. Und wie ist der logische Widerspruch aufzuheben: Teile gibt es, aber nicht die Gesamtheit dieser Teile, das Ganze - So ein Fall wurde bisher im Bereich der Bereiche noch nie beobachtet! Der von Gabriel in seinem Buch dann geführte Beweis ist sprachliche Akrobatik:
Marx behauptete das Gegenteil von Kant und stilisierte seine Meinung zur Grundfrage der Philosophie hoch: "Die Welt ist erkennbar". Gabriel vertritt - kein neuer Gedanke - die gegenteilige Überzeugung, beschreibt und begründet sie aber mit sprachlicher Spitzfindigkeit anders als Marx. Er sagt nicht: "Die Welt ist nicht erkennbar", sondern "Die Welt gibt es nicht". Beweise für ihre Thesen liefern alle drei Philosophen nicht. Es sind subjektive Meinungen, reine Fiktionen, Glaubenssätze. Beweise kann es nicht geben, weil dazu kein objektives Wissen existiert, nie existieren wird.
Trotzdem baut Herr Gabriel - inspiriert durch Kant - auf dieser sprachlichen Fiktion ein ganzes Gedankengebäude auf und nennt es im Gegensatz zu Metaphysik und dem Kant'schen Konstruktivismus: "Neuer Realismus".
In diesem Realismus spielen Geist und Sinn, die im naturwissenschaftlichen Weltbild (angeblich) nicht vorkommen, eine wichtige Rolle. Verwirrend - Die umgangssprachlichen Begriffe Geist und Sinn werden dabei semantisch neu belegt (Kant lässt grüssen). Inhalt wird durch nebulöse Sprache vorgetäuscht:
Seite 174 |
"Geist" wird von Gabriel explizit nicht definiert, aber in einem SPIEGEL-Artikel #) heisst es: "Menschen bewegen sich ... im Geist. Ignoriert man den Geist ..., verschwindet aller Sinn". "Sinn" bedeutet bei Gabriel: "Die Art, wie ein Gegenstand erscheint."
Neu ist auch dieser Gedanke nicht. Man kann in etwa Geist und Sinn im Verständnis Gabriels durch Denken und Umwelt ersetzen: Ohne Denken keine Umwelt ...? Das ist die buddhistische Sicht auf diese Welt. Wieder ein ganz anderes Konstrukt, aber auch durch nichts zu beweisen.
Hier mehr zu Geist und Sinn aus diesem Artikel:
Wie viel Mut gehört dazu, eine Sichtweise "Neuer Realismus" zu nennen, einen Realismus, der an einen "Geist" glaubt, den man mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht nachweisen kann?! Hier wird nur wieder bewiesen, dass man einen solchen "Geist" unabhängig von seiner realen Existenz denken und deshalb auch sprachlich (sehr unzureichend) beschreiben, und zum Mittelpunkt einer Imagination machen kann: Das ist blanker Idealismus.
Mit der Neuerfindung der Unendlichkeit sowie von Geist und Sinn durch die Kraft Gabrielscher Gedanken und Sprache kann man zwar eine Diskussion entfachen und ein Buch verkaufen, aber kein naturwissenschaftliches Wissen produzieren.
Herrn Schnädelbach habe ich diese E-Mail geschickt. Die fast gleichlautende Mail hat auch Herr Gabriel an die Adresse philoerk@uni-bonn.de erhalten. Keine Reaktion.
Das war zu erwarten: Was interessiert den Mond, wenn irgendwo ein Hund bellt?
Da sich Philosophen immer mit konträren "Überzeugungen" konfrontiert sehen und keine Seite beweisen kann, dass sie Recht hat, werden die Nerven am besten dadurch geschont, dass man andere Auffassungen einfach ignoriert.
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Betreff: Irreführung
Von:
hello.al@web.de
An:
h.schnaedelbach@hamburg.de
Datum: 01.12.2013 15:39:52
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Schnädelbach!
Ihr Buchtitel hat mich verführt!
Mit Vergnügen habe ich mich in dieses Buch vertieft und eine Rezension geschrieben, die Ihnen nicht gefallen wird:
http://www.storyal.de/Story-2013/Wissen.html
Aber weil jeden Autor interessiert, was der Leser von seinen Werken hält, weise ich Sie auf diesen Link hin.
Die Lektüre hat mich angeregt und insofern habe ich unerwartet doch etwas gelernt.
Allerdings haben Sie dieses Ergebnis wohl gerade nicht beabsichtigt.
Trotzdem DANKE und
beste Grüsse zum 1. Advent
von J. Albrecht
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*) Herbert Schnädelbach
Was Philosophen wissen und was man von Ihnen lernen kann
Verlag C.H.Beck (2013), ISBN 978-3-406-65207-3
Herbert Schnädelbach http://de.wikipedia.org ...
Herbert Schnädelbach www.schnaedelbach.com/
Rezensionen zu "Was Philosophen wissen und ..." bei www.perlentaucher.de ...
Prof. Dr. Herbert Schnädelbach www.philosophie.hu-berlin.de ...
Herbert Schnädelbach erhält Tractatus-Preis www.boersenblatt.net ...
Was Philosophen wissen und ... www.dradio.de ... und www.dradio.de ...
Herbert Schnädelbach weiss, «was Philosophen wissen» www.nzz.ch ...
Logik ist nicht dazu da, Strukturen oder gar
Prozesse in der Wirklichkeit abzubilden www.heise.de ...
**) Markus Gabriel
Warum es die Welt nicht gibt
Ullstein Verlag (2013), ISBN 978-3-550-08010-4
#) Markus Gabriel
Eine Reise durch das Unendliche
DER SPIEGEL 27/2013, Seite 122 - 124
Auf der Suche nach der Wahrheit www.storyal.de ...
Denken, Denkstil, Bewusstsein und Intelligenz www.storyal.de ...
Wittgensteins Gedanken www.storyal.de ...
ICH oder mein Gehirn? www.storyal.de ...
Natürliche Roboter www.storyal.de ...
Jürgen
Albrecht, 11. November 2013
update:
09.12.2013