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Reise in das Land der Täter

Was ist Antisemitismus?

 

   
Tenenbom: Allein unter Deutschen. Eine Entdeckungsreise

Der New Yorker Tuvia Tenenbom, Sohn von Holocaust-Opfern, ist durch Deutschland gereist und hat darüber ein Buch geschrieben. Das erstaunliche Porträt einer Nation, in der mancher die Israelis für die wahren Nazis hält. Schon vor Veröffentlichung sorgte es für einen Skandal.

Nun erscheint Tenenboms Bericht bei Suhrkamp: "Allein unter Deutschen. Eine Entdeckungsreise". Der Veröffentlichung vorausgegangen war eine für die Verlags- und Medienbranche einzigartige Abwehrreaktion: Rowohlt-Verleger Alexander Fest, der Tenenboms Bericht zuerst ins Deutsche bringen wollte, entschied sich persönlich gegen eine Publikation - aus, wie Fest behauptete, formalen und juristischen Gründen. Die "Süddeutsche Zeitung" veröffentlichte daraufhin einen polemischen Text über die amerikanische Version von Tenenboms Buch. Friedenspreisträger Saul Friedländer bezeichnete die Wortwahl von Rowohlt und "Süddeutsche" im Umgang mit Tenenbom daraufhin auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE als antisemitisch.

Im schleswig-holsteinischen Neumünster besucht Tenenbom den berüchtigten Neonazitreff Club 88. Freundlich weisen die Neumünsteraner Tenenbom den Weg, als er sich nach dem Nazilokal erkundigt. Freundlich bewirtet ihn der Barkeeper Frank, als er sich dort als deutschstämmiger Amerikaner ausgibt. Bevor er hergekommen sei, hätten ihn viele gewarnt, schreibt Tenenbom. "Diese Leute sehen die Neonazis im Fernsehen und halten sie für Bestien." Was ihn an Frank aber am meisten verblüfft habe, sei, "dass es sich um einen wirklich liebenswürdigen Menschen handelt. Er singt auch gern: 'Wir haben Krematorien und in jedem steckt ein kleiner Jude'. Er lächelt, während er das singt", schreibt Tenenbom und folgert: "So wurde wahrscheinlich meine Familie in den Tod geschickt. Mit einem Lied und einem Lächeln auf den Lippen."

Selten werden Vorwürfe gegen Israel so explizit geäußert wie in Köln, wo auf - ausgerechnet Klagemauer genannten - Protest-Stellwänden nahe des Doms im Bezug auf Israel von "Massakern", "Landraub", "ethnischen Säuberungen" und "Staatsterror" die Rede ist. Immer wieder wird Tenenbom während seiner Reise, die ihn durch einen Großteil der Bundesländer und gesellschaftlichen Schichten führt, auf den israelisch-palästinensischen Konflikt angesprochen.

Sogar auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers Buchenwald trifft Tenenbom einen Mitarbeiter, der frei heraus berichtet, im Jahr zuvor für die Bewohner des Gaza-Streifens demonstriert zu haben. Er ist Leiter der Abteilung Gedenkstättenpädagogik. Tenenbom ist fassungslos. "Die Geschichte von Israel und Gaza ist ziemlich kompliziert und vielschichtig", schreibt er und fährt in Bezug auf den Gaza-Streifen fort: "Nirgendwo auf der Welt leben so viele Menschen, die die Juden am liebsten ins Meer treiben würden." Warum, so Tenenbom, hat jemand, der an einer Erinnerungsstätte für die Opfer des NS-Systems arbeitet, nicht das Bedürfnis, ein klein wenig sensibler aufzutreten?

Wie umgehen mit dieser Erinnerungslast? Tuvia Tenenbom schätzt: "Der Antisemitismus, dem ich in Deutschland begegnet bin, ist vermutlich eher bewusster als unbewusster Natur." Der schnellste und kindischste Weg aber, sich vom "Gewicht der Erinnerung an den Holocaust zu befreien", so meint er, bestehe für die Deutschen darin, "'den Juden' die Schuld zu geben. Sie sind die wahren Nazis, nicht Opa, und Oma schon gar nicht."

Folgt man Tenenbom in dieser Argumentation, ergäbe sich folgender Schluss: Wenn sogar die Israelis sich gegenüber den Palästinensern "wie die Nazis" verhalten, kann das, was in Deutschland nach 1933 passiert ist, offenbar in jedem Staat passieren - Deutschland wäre ein Land wie jedes andere auch. Mehr bei www.spiegel.de ... und auch bei www.spiegel.de ...

 

Schwierigkeiten mit den Juden?

Warum ist das Verhältnis der Deutschen und Deutschlands zum Holocaust, den Juden und zu Israel so schwierig? Exemplarisch wird das hier in diesem Spiegel-Artikel und offenbar auch in dem Buch von Tenenbom deutlich: Der Holocaust an den Juden, die Juden und der Staat Israel - Das sind drei völlig verschiedene Dinge! Sie in einem Topf zusammenzurühren, ist der grundsätzliche Fehler, der immer wieder zu beobachten ist. Er führt letztlich zu der Doktrin, der auch die Bundesregierung folgt: Kritik an der Politik Israels ist Antisemitismus. Und genau das ist falsch.

(1.) Niemand, der noch bei klarem Verstand ist und in Deutschland lebt wird bestreiten, dass es den Holocaust an den Juden gegeben hat, dass dafür Hitler und seine Nazis verantwortlich waren und dass das III. Reich der Deutschen damit eine schwere Verantwortung auf sich geladen hat.
Aber, und das ist entscheidend: Die Täter leben nicht mehr und niemand ist für die Geschichte oder die Vergangenheit seines Landes verantwortlich zu machen. Man kann sich für diese Vergangenheit schämen und ich tue das, aber ich bin weder dafür verantwortlich, noch kann ich die Vergangenheit ungeschehen machen. Antisemitismus war die treibende Kraft für diese ungeheuren Verbrechen. Diesen Antisemitismus gibt es in Deutschland immer noch, weil die braune Vergangenheit in den Köpfen der Neonazis wiederaufersteht.

(2.) Wer hat etwas gegen Juden? Verbohrte, fanatisierte Gläubige aller Religionen sehen geringschätzig auf die herunter, die etwas anderes glauben. Solche Fundamentalisten gibt es in allen Religionen - Christen, Moslems, Hindus, Buddhisten usw. Auch die Juden machen dabei keine Ausnahme. Sie fühlen sich von Gott auserwählt und sie haben sogar einen herabwürdigenden Begriff für alle anderen Gläubigen: Die Gojim. Ich aber glaube, alle Gottesvorstellungen sind menschliche Fiktionen. Alle, die an einen wie auch immer gearteten Gott glauben, respektiere und toleriere ich, solange sie nicht aggressiv missionieren und Gewalt bis hin zum Krieg predigen oder anwenden, um ihre religiösen Vorstellungen durchzusetzen. Mit dieser Auffassung spreche ich das aus, was die grosse Mehrheit der Deutschen in dieser Hinsicht denkt.
In der deutschen Bevölkerung existiert kaum religiöser Hass zwischen Juden, Buddhisten oder Moslems. Im Gegenteil, die Christen sehen die Juden als ihre älteren Geschwister an. Aber es gibt vereinzelt auch religiös motivierten Antisemitismus mit neonazistischem oder moslemischem Hintergrund. Bei solcher Hetze, Gewalt und Terror aber hört die religiöseToleranz auf, egal um welche Religion es dabei geht.

(3.) Der Staat Israel annektiert seit seiner Gründung palästinensisches Land. Die vertriebenen Palästinenser leben in Flüchtlingslagern unter israelischer Besatzung. Israel verletzt permanent Menschen- und Völkerrechte. Dagegen mit allen friedlichen Mitteln zu protestieren ist durch das Recht auf freie Meinungsäusserung gedeckt. Dieser Protest ist kein Antisemitismus. Was hat er beispielsweise mit dem Holocaust zu tun?
Es gibt in der deutschen Bevölkerung heftige Kritik an Israels aggressiver, kompromissloser Politik gegen seine Nachbarn. Diese Politik Israels schadet täglich dem Image der Juden weltweit! Warum nimmt man das in Kauf?! Unbegreiflich. Zur Kritik an dieser unmenschlichen Politik Antisemitismus zu sagen, ist ein schmutziger Trick, aber ein sehr erfolgreicher.

 

Was ist Antisemitismus?

Aus meiner Sicht ist diese Frage ganz einfach zu beantworten: Antisemitismus ist die Einstellung, die im II. Weltkrieg zum Holocaust an den Juden geführt hat. Wer Juden ins Meer treiben, wer sie vergasen oder totschlagen will, aus welchen Gründen immer, der ist ein Antisemit. Die Kritik an der Politik des Staates Israel aber hat nichts mit Antisemitismus zu tun, solange nicht das Existenzrecht des Staates Israel infrage gestellt wird. Im Gegenteil: Kritik an Israels Politik als Antisemitismus zu diffamieren ist eine Verharmlosung der gewalttätigen, rassistischen Einstellungen, die zum Holocaust unter den Nazis geführt haben! Absurd und töricht ist es beispielsweise, juristische Zweifel an der Beschneidung als Antisemitismus zu bezeichnen oder dem Rowohlt-Verleger und der SZ Antisemitismus im Zusammenhang mit Tenenboms Buch zu unterstellen.

 

Wie will Israel das Palästinenserproblem lösen?

Israel hat keine Lösung für das Palästinenserproblem und auch kein Interesse daran. Damit haben die Palästinenser keinerlei Perspektive. Die israelische Besatzung sorgt dafür, dass die Palästinenser in den besetzten Gebieten auf Dauer nur am Existenzminimum existieren. Ein absolut unwürdiger Zustand. Israel setzt auf eine langfristige, biologische Lösung. Das ist der Hintergrund der Siedlungspolitik. Aber dieses Kalkül geht nicht auf, denn die Palästinenser haben auch jede Menge Kinder. Wohin mit Millionen von Menschen, denen man ihr Land und die wirtschaftliche Basis weggenommen hat? DAS ist der Kern des Konflikts.

Wen wundert es unter diesen Umständen, dass sich die Palästinenser radikalisieren und mit kleinen Raketen hilflos Israel beschiessen? Mit diesen Raketen können sie zwar Terror erzeugen, aber sie sind der israelischen Luftwaffe und gezielten Tötungen mit Drohnen (!) hilflos ausgeliefert. Opfer und Schäden im Verhältnis 100:1. Warum Gewalt und Krieg? Was ändert das an dem Grundproblem?!

 

Israel muss Frieden mit seinen Nachbarn schliessen!

Der Staat Israel und seine Verteidiger sehen das natürlich anders. Für sie ist jede Kritik Antisemitismus. Das ist wunderbar einfach und die bequemste Verteidigung, denn mit dem jüdischen Holocaust im Hinterkopf, ist Antisemitismus ein Totschlag-Argument. Aber diese Argumentation ist unredlich: Es ist die betrügerische Instrumentalisierung des Holocaust. Gleichzeitig glaubt Israel, sich damit auch jeder vernünftigen Argumentation entziehen zu können. Das ist eine dramatische Fehleinschätzung. Israels permanente Rechtsverletzungen sind nur durch eine andere Politik und die Zweistaatenlösung aus der Welt zu schaffen.

Solange mehr als 4 Millionen Palästinenser in Flüchtlingslagern unter israelischer Besatzung leben, weil Israel ihnen ihr Land weggenommen hat, wird es nie Frieden geben im Nahen Osten. Die menschenunwürdige Situation der Palästinenser unter israelischer Besatzung ist die Brutstätte für unendlichen Hass und militanten Terror gegen Israel. Wann wird Israel diese simple Wahrheit begreifen?!

Wie beantwortet sich Israel selbst diese ganz einfachen Fragen: Warum sind alle unsere Nachbarn auch unsere grössten Feinde? Warum ist unser Image weltweit so entsetzlich schlecht (bei jeder Abstimmung in den Organen der UNO zu beobachten)? Und nicht zuletzt: Warum haben wir weltweit ausserhalb unserer Glaubensgemeinschaft keine Freunde??

 

 

Links zu Tennebom

Oh Tenenbom! www.n-tv.de ...

Tenenbom und das Vorurteil vom hässlichen Deutschen www.abendblatt.de ...

Die Deutschen sind genauso neurotisch wie ich www.dradio.de ...

Warum das Buch "Allein unter Deutschen" viele Weimarer verärgert www.tlz.de ...

 

 

Jürgen Albrecht, 04. Dezember 2012
update: 11.12.2012

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