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Schreibschrift oder Druckschrift
   
Lesen und Schreiben ist die Grundlage jeder Bildung

Diese Diskussion erinnerte mich fatal an die Auseinandersetzungen bei der Rechtschreib"Reform". Im Grunde geht es wieder um Ökonomie und nicht um die Sache: Anstatt sie zu fördern soll den schwächeren Schülern dadurch geholfen werden, dass die Anforderungen für alle reduziert werden. Weil nicht genug Zeit und Personal für Lehre und Förderung zur Verfügung stehen, wird über den Extremfall nachgedacht: Jeder muss eigentlich nur noch mit einer Tastatur umgehen können, denn mit der Hand werden ja nur noch Einkaufszettel geschrieben. Das 10-Fingersystem stellt dabei natürlich auch wieder zu hohe Anforderungen, also soll jeder selbst sehen, wie er am besten mit der Tastatur zurechtkommt.

In der angeblichen Bildungsrepublik Deutschland fehlt es zuallererst am Leistungswillen. Die Lehrer von der Grundschule bis zur Universität trauen sich immer weniger, von den Schülern und Studenten Leistung und Qualifikation zu verlangen und die Lernenden sind immer weniger bereit, Leistung zu erbringen, die Problemlösung, Arbeit, Übung und Mühe erfordert. Letztendlich sind dafür ökonomische Gründe verantwortlich, denn Deutschland ist gerade keine Bildungsrepublik. Für Sozialleistungen wird aktuell zehn Mal mehr ausgegeben, als für Bildung. Dass sich beides bedingt, sieht niemand, weil zu kurz gedacht wird.

Abgesehen von diesem Grundproblem ist die Schreibschrift aber ein interessanter Fall, weil wesentliche Dinge im heutigen Grundschulsystem offenbar ungelöst sind: Welche Schrift soll der Erstklässler lernen? Mit welcher Didaktik? Wie strikt sind Schriftregeln einzuhalten? Und nicht zuletzt: Welche Rolle spielt dabei die Tastatur?

Und um diese haarsträubende Geschichte vollends zu verwirren, entscheiden darüber 16 verschiedene Kultusminister: Jeder für sein Revier und jeder anders ...! Ein völlig falsches Verständnis von Freiheit sorgt beispielsweise in Hamburg und Berlin dafür, dass letztlich jeder einzelne Lehrer die Freiheit besitzt zu entscheiden, welche von den drei Schriften (s.u.) er seinen Erstklässlern wie beibringt. Das ist zwar Föderalismus, aber in Bezug auf das Allgemeinwohl ist es einfach nur skandalös.

Die Kinder wachsen heute zwar mit Computern und allen möglichen mobilen Kommunikationsgeräten auf, aber sollte man da gleich auf das Schreiben mit der Hand ganz verzichten? Ist das nicht mindestens so eine Amputation wie es der Verzicht auf das 1X1, Deutsch, Geschichte und Musik wäre? Eigentlich schlimmer, denn wie soll man Lesen lernen, ohne Schreiben zu können?! Und in Deutschland sind bereits 7,5 Millionen Erwachsene (14,5%) funktionelle Analphabeten!

Für mich steht ausser Zweifel, dass jeder manuell schreiben können muss. Jederzeit kann der Strom ausfallen und nicht wieder eingeschaltet werden. Was dann? Es will wohl auch niemand ernsthaft das Schreiben mit der Hand abschaffen. Es ist aber eine heftige Debatte im Gange, welche Schrift man zukünftig mit der Hand schreiben und wie man das lernen soll.

Meine Position: Jeder sollte eine Schreibschrift beherrschen, denn mit den Einzelbuchstaben einer Druckschrift kann man nicht schnell schreiben. Die Didaktik ist eine Frage der Wissenschaft. Wenn die sich nicht einmal auf eine Methodik einigen kann, sollten diese Wissenschaftler lieber Gärtner oder Klempner werden. Gerade kleine Kinder brauchen strikte Regeln, deshalb müssen solche Regeln für eine in ganz Deutschland einheitliche (teilverbundene ?) Schreibschrift detailliert vorgegeben und (gnadenlos) bis zur Beherrschung geübt werden. Eine individuelle Handschrift bildet sich danach (unvermeidlich!) von selbst heraus. Und mit das Beste, was man einem Schüler im IT-Zeitalter antun kann, ist ihn zu zwingen, das 10-Finger-System zu erlernen. Bei einer Stunde täglich (ohne Sonnabend und Sonntag) ist das nach sechs Monaten geschafft. Kein Kind wird das im Alter von 6 bis 9 Jahren von sich aus lernen, Lehrer und Eltern müssen sich einig sein und es durchsetzen. Hat man erst einmal sein eigenes "System Adler" erfunden, ist es für das 10-Finger-System zu spät.

Aber genau hier beisst sich die Katze wieder in den Schwanz: Es fehlen Leistungsanforderungen und Leistungsbereitschaft. Und so wird in Zukunft jeder mit der Hand schreiben, wie es ihm mit der geringsten Mühe gelingt, er braucht sich weder an Schrift- noch an Rechtschreibregeln mehr zu halten und auch auf der Tastatur erfindet jeder sein eigenes System.

Das gilt für Deutschland. In China zum Beispiel lernen die Grundschüler ganz selbstverständlich mindestens 2.000 Schriftzeichen der mehr als 50.000 Zeichen der chinesischen Schrift. Deutschland bildet jährlich 40.000 Ingenieure aus, China 600.000. Welchem Land und welchen Menschen wird wohl die Zukunft gehören?

28.07.2012 15:37

 

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Einige Links zum Thema

Kulturkampf an den Grundschulen www.cicero.de ...

Politische Handschriften www.faz.net ...

Kommentare: Schreibschrift oder Druckschrift www.talkteria.de ...

Pro und Contra www.grundschulverband.de ...

Mit Schwung, aber lesbar www.zeit.de ...

Aus der Grundschrift wird keine Schreibschrift www.lesbar-schreiben.org ...

10.08.2012 11:46

 

Grundschrift auch in Baden-Württemberg?
Schriftbild der Grundschrift

Schreiben und Lesen: Das vor allem sollen Kinder in der Grundschule als Erstes lernen. Doch bei Grundschülern hapert es an der Rechtschreibung. Deshalb plädiert der Grundschulverband, ein Zusammenschluss von Schulen, Pädagogen und Wissenschaftlern, für eine einfachere, stärker an der Druckschrift orientierte Grundschrift. Im Rahmen eines Modellprojekts soll eine neue Grundschrift (siehe Graphik) an vier württembergische Schulen verprobt werden. Zwölf weitere Grundschulen, darunter auch welche aus Südbaden, haben sich ebenfalls beworben. Doch gegen den Modellversuch regt sich heftiger Widerstand. Mehr bei www.badische-zeitung.de ... (Mit sehr interessanten Lesermeinungen!)

 

Aus der Grundschrift wird keine Schreischrift
Schreibversuche

Kinder, die ein Jahr lang Druckbuchstaben lernen, sind denjenigen Schülern gegenüber, die von Anfang an die Lateinische Ausgangsschrift schreiben lernen,motorisch im Nachteil. Und nicht nur das: Sie müssen, wenn sie nach der Druckschrift die VA oder SAS-Schreibschrift lernen, wieder ganz von vorne anfangen. So entstehen Schreib- und Rechtschreib-Defizite. Mehr bei www.lesbar-schreiben.org ...

 

Keine einheitliche Regelung in Berlin

An Hamburgs Grundschulen ist das Unterrichten der Schreibschrift nach den Sommerferien nicht mehr verpflichtend. Sie können sich auch für die Druckschrift entscheiden. Experten streiten, was richtig ist. In Berlin gibt es keine einheitliche Regelung.

Derzeit herrscht im gesamten Bundesgebiet keine einheitliche Regelung darüber, wie die richtige Schreibschrift aussehen muss. Stattdessen gibt es ein Wirrwarr von drei verschiedenen Varianten, die seit 1951 entwickelt wurden.

In Berlin kann sogar jeder Lehrer selbst entscheiden, ob die Kinder die Lateinische Ausgangsschrift, die Vereinfachte Ausgangsschrift oder die Schulausgangsschrift im Unterricht anwendet. Vorgegeben ist im Rahmenplan lediglich, dass die Kinder nach der Druckschrift eine verbundene Schrift lernen müssen. Einzige Bedingung: sie muss formklar, leicht zu lernen und gut zu lesen sein. Mehr bei www.morgenpost.de ...

 

Eine Meinung aus Österreich

Ich halte mich (ist dies hochmütig?) für halbwegs gebildet und fühle mich als Bürger, als Citoyen. Ich glaube deswegen, dass jene recht haben, die es für einen enormen, fast für den totalen Kulturverlust halten, wenn die deutsche Schreibschrift durch die sogenannte Grundschrift ersetzt werden soll. Schreibschrift: Die haben wir alle in der Schule gelernt. Grundschrift: Die lehnt sich an die Druckschrift an, „bei der die Buchstaben einzeln stehen, aber auch verbunden werden können“.


Der deutsche Grundschulverband will die Grundschrift. Aber man muss nicht Mitglied des deutschen „Vereins für Sprachpflege e.V.“ sein, um dem Titel seines Magazins „Deutsche Sprachwelt“ zuzustimmen: „Die Schreibschrift verteidigen – Tausende Bürger setzen sich für die Erhaltung dieses Kulturgutes ein“. Ich auch. Denn Geschriebenes ist tatsächlich ein Kulturgut. Aber wer schreibt noch? Der Brief ist, wenn es gut geht, durch E-Mail ersetzt worden, aber schon da hapert es mit der Herzlichkeit. „lg“ las ich neulich vor dem Namen der Absenderin. Liebe Grüße. Aber immerhin: Es hieß wenigstens nicht „mfg“.

Ist auch die offenbar um sich greifende Ablehnung der Schreibschrift, dieses Ausdrucks eines „flüssigen“ Stils, Beweis einer „linken“ Reideologisierung? Dann wäre sie doch auch in Österreich unter Führung von Claudia Schmied verstärkt bemerkbar. Aber bei uns ist es, scheint's, noch nicht so weit. Noch sind manche Unterschriften lesbar. Noch ist die abgrundtief dumme Begründung für die Grundschrift, dass sie die frühe Bildung der verteufelten Eliten verhindere, nicht populär. Mehr bei http://diepresse.com ...

 

Einige Artikel zum Thema Grundschrift bei http://bildungsklick.de ...

Unterrichtsmaterial für das Schreiben bei www.schulschriften.de/

Weg mit der Schreibschrift? Unsere Schulen brauchen Ruhe. Und gute Lehrer ... www.zeit.de ...

01.08.2012 18:08

Schreibschrift oder Druckschrift?

Gerade im Deutschlandfunk bei Pisa Plus: 
Eine spezielle Form der Druckschrift, bei der an die Buchstaben kleine Bögen gehängt werden, um sie zu verbinden. Für die einen ist dies eine sinnvolle Erleichterung, für andere ein Kulturbruch: Schließlich gehe mit der Schreibschrift eine kulturelle Basiskompetenz verloren.

Dabei stellt sich in Zeiten des allgegenwärtigen Tippens auf der Computertastatur die Frage, welche Rolle diese Basiskompetenz überhaupt noch spielt. Der Schriftverkehr im Berufs- und Geschäftsleben wird heute nur noch am Rechner erledigt, auch Studierende sitzen heute mit Laptop, statt mit Kladde und Kuli in Vorlesung und Seminar. Laut einer Studie des englischen Online-Schreibwarenhändlers Docmail hat jeder Dritte Erwachsene in den letzten sechs Monaten gar nichts Handschriftliches mehr festgehalten. Mehr bei www.dradio.de ...

28.07.2012 15:37

 

Jürgen Albrecht, 01. August 2012
update: 31.08.2012

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