Ich wähle Schröder.
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Für Schröder - nicht für die SPD In 14 Tagen werde ich Schröder wählen. Das ist meine persönliche Entscheidung. Sie ist so subjektiv, wie die aller Wähler. Aber mir ist diese Subjektivität wenigstens bewusst. Ausserdem ist mir klar, dass es völlig egal ist, was ich mache. Ob ich wähle oder nicht und wen ich wähle – es hat keinerlei Wirkung. Die parlamentarische Demokratie sorgt dafür. Ich stimme bei der kommenden Bundestagswahl für Schröder – nicht für die SPD. Ich zolle Schröder damit meinen Respekt, nicht etwa der Partei, der er angehört. Mir imponiert der Mensch Schröder. Sein Drang nach Oben, sein Bildungshunger, seine Entschlossenheit, sein Egoismus, seine Kaltschnäuzigkeit, sein Ackern und sein Stehvermögen beim Pokern um Alles oder Nichts. Faszinierend, wie er mit hoch komplexen Problemen umgeht, seine geringen Spielräume bis an die Schmerzgrenze ausreizt und wie virtuos er mit den Medien spielt. Allein gegen alle! Das scheint sein Motto zu sein. Bezeichnend sein Satz: „Ich brauche keine Freunde. Erst recht keine, denen ich etwas zu verdanken habe.“ Dieser Satz könnte von mir sein. Viel mehr aber nicht. Wir sind uns nicht ähnlich: Vor allen Dingen wollte ich nie nach Oben und schon gar nicht ins Kanzleramt. Mir ist schon Ende der 60-er Jahren klar geworden, dass man in der dünnen Luft der Politik keine ordentliche Problemlösung zustande bringen kann. Das ist auch Schröder nicht gelungen. Viele Fehler wurden gemacht, viele Probleme sind weiterhin ungelöst (vielleicht sogar die meisten ...) und auch Verletzte blieben auf der Strecke. Aber mir imponiert die Geradlinigkeit von Schröder. Er bleibt hartnäckig dran, wenn er eine Chance sieht, zu gewinnen. Schröder hat (leider erst in seiner zweiten Amtszeit) erkannt, dass die Reform des deutschen Staates überfällig ist. Das zu begreifen, ist keine grosse Leistung. Jedem, der sich in den letzten 20 Jahren die Staatsfinanzen nur von aussen angesehen hat muss klar geworden sein, dass es so nicht weitergehen kann. Schröders Leistung aber ist, mit dieser Erkenntnis auch Konsequenzen gezogen zu haben. Schröder hat den politischen Kurs der deutschen Politik verändert und das war seit mindestens 20 Jahren überfällig. Auch auf diesem Feld hat Kohl wie seine Vorgänger versagt. Die Kanzler vor Schröder haben mit ihren Parteien und Koalitionspartnern den Schuldenstaat begründet: CDU, CSU, FDP, SPD. Aber auch Schröder und die Grünen haben sich daran beteiligt. Eine Todsünde gegenüber den nachfolgenden Generationen.
Allein gegen alle Jeder Bundeskanzler ist eingemauert in seinem Kanzleramt. Eingemauert von seiner Partei, seiner Fraktion, seinen Koalitionspartnern und von der geschwätzigen, öffentlichen Meinung. Ausserdem wird er täglich mehr genervt und gefesselt von Lobbyisten aller Couleur: Die Autoindustrie, die Energie- und die Pharmaindustrie, die Landwirtschaft, der Mittelstand, die Rentner, die Kranken, die Pendler, die Häuslebauer… das geht endlos weiter bis zum Jüdischen Zentralrat und den Kirchen. Und von den Parteien bis zur Kirche wollen alle von ihm nur eines: Gib mir mehr!! Nur das Gleiche wie im Vorjahr ist nicht genug. Alle haben in den guten Zeiten verinnerlicht, dass Wachstum der absolut normale Zustand ist. Nicht nur das, sie wollen jährlich mehr Wachstum. Niemand denkt über den Tag hinaus. Dabei müssen alle wissen, dass jedes Wachstum endlich ist und auf Wachstum mit der unerbittlichen Logik der Naturgesetze der Niedergang folgt. Man weiss es, aber es wird konsequent und beharrlich verdrängt. Mit seiner Agenda 2010 hat Schröder diesem Naturgesetz gehorcht und Weichen gestellt. Und offenbar hat er diese Agenda fast alleine entwickelt und sie gegen den Widerstand aller und den besonderen Widerstand seiner eigenen Partei durchgesetzt. Schröder hat erkannt, was seine Partei und die wiederauferstandenen Linken auch heute noch nicht wahr haben wollen: Die Zeit des Sozialismus, der sozialen Gerechtigkeit, der Gewerkschaften und der Arbeiter ist vorbei. In Europa wird es bald keine Arbeiter im marxistischen Sinne mehr geben. Trotzdem werden die Sozialdemokraten, die Kommunisten und alle umbenannten Linken nicht aufhören, von der 'Letzten Schlacht' zu singen. Es scheint menschlich zu sein, dass man die Realität, wenn sie einem nicht passt, so lange ignoriert, bis man von ihr erschlagen wird. Sozialismus und soziale Gerechtigkeit waren immer Utopien. Aber mit vollen Staatskassen und der 'ewigen Freundschaft mit der ruhmreichen Sowjetunion' konnte man sich in Ost und West solche Luftschlösser leisten.
Die Agenda 2010 reicht nicht aus Der Staat muss seine Einnahmen und Ausgaben anders strukturieren. Das ist die Grundaufgabe aller Reformen. Schröders Agenda 2010 ist unzureichend. Sie geht nicht weit genug, sie ist halbherzig und bezüglich der Arbeitsmarktreform war sie von Anfang an illusionär. Die alles entscheidende Frage wurde weder von der Regierung noch von der Opposition überhaupt gestellt: Wie entstehen Arbeitsplätze in Europa unter den Bedingungen der Globalisierung?! Wie eine andere Republik nach meiner Auffassung mindestens aussehen müsste, ist nachzulesen. Mehr aber war im ersten Wurf nicht zu erreichen. Ein Wunder, dass eine sozialdemokratische Regierung überhaupt diesen Reformprozess eingeleitet hat. Sie schneidet sich damit tief ins eigene Fleisch. Dass dieser Reformprozess tatsächlich in Gang gesetzt wurde, ist Schröder allein und ganz persönlich zu verdanken. Und genau deshalb verdient er Respekt. Ganz deutlich weist darauf beispielsweise die Bemerkung von Joschka Fischer hin: 'Ich bin kein Selbstmörder!' Fischers Drehungen und Wendungen haben der Grünen Patei das Profil gekostet. Ein Machtmensch voller Selbstüberschätzung. Der exemplarische Opportunist und das glatte Gegenteil von Schröder. Aber in bester Gesellschaft mit Westerwelle, Stoiber, Kohl, Lafontaine, Gysi & Co. Trotzdem wird Schröders Agenda 2010 in den Geschichtsbüchern den Wendepunkt markieren: Das Zeitalter des Aufschwungs, des Wachstums und der bequemen sozialen Hängematte ist nun auch in Deutschland vorbei. Von nun an geht’s bergab. Die sozialistischen, die sozialen und auch die grünen Utopien werden in den nächsten Jahrzehnten untergehen. Den Abstieg zu organisieren, ist eine viel schwierigere Aufgabe, als Wohlstand zu verteilen. Schröder wird das nicht machen müssen. Ihm kann genügen, den Wendepunkt markiert zu haben.
Salute und bye bye Gerhard Schröder!In 14
Tagen werde ich SPD wählen. Das erste und sehr wahrscheinlich
auch das einzige Mal. Keine Partei ist meine Partei, auch die SPD
nicht. Ich gebe der SPD meine Erst- und Zweitstimme, weil ich anders
Gerhard Schröder meinen Respekt nicht bezeugen kann. Natürlich interessiert mich, wie sich Deutschland auf den Abstieg einstellt und ihn organisiert. Schröders potentielle Nachfolger lassen von Rechts bis Links nichts Gutes ahnen. Wem ist am ehesten die soziale Balance zwischen finanziellen Einschnitten und mitmenschlicher Solidarität zuzutrauen? Was ist von den Parteien zu halten? Die SPD: Eine Partei mit den Utopien von vorgestern auf abschüssiger Bahn, der die Globalisierung die Parteimitglieder meuchelt. Die CDU: Zerstritten trotz christlicher Fassade, konservativ und wirtschaftsnah. Die Kanzlerkandidatin im Dauerstreit mit den CDU-Ministerpräsidenten und ihrer Schwesterpartei. Die CSU: Stockkonservative, reiche und klerikal verfilzte Provinzfürsten mit einem verstaubten Weltbild. Die Grünen: Immer noch illusionär, aber nach 7 Jahren an der Macht ohne Konturen und Profil, verschlissen von ungezählten Wendemanövern. Die FDP: Würde sie die Macht haben, würde in falsch verstandener Liberalität alles der Markt regeln. Ohne soziale Rücksichtnahme und ohne ethische Skrupel. Die neu umbenannten SED-PDS-SPD-Linken? Was haben sie ausser Protest und Show zu bieten? Unter dem ramponierten Emblem der Sozialistischen Einheitspartei drängt es sie wieder ins Rampenlicht. Die Rechten: Demagogen ohne Konzept, hoffend auf den nächsten, grossen Diktator. Die banalen Sprüche auf den Wahlplakaten und der Wahlkampf ohne Sachthemen passen zur deutschen Stimmungslage: Zukunftsangst, Perspektivlosigkeit und Politikverdrossenheit. Über Globalisierung, Innovationsfelder, Schuldentilgung, Bildungspolitik und andere drängenden Fragen wird im Wahlkampf nicht debattiert. In endlosen Talkrunden existiert nur ein Thema: Das akademische Steuersystem des 'Professors aus Heidelberg'. Diese politische Misere wird inzwischen im westlichen Ausland als 'German Angst' bezeichnet. Dem deutschen Staat fehlt nur noch die grosse Koalition, um den Stillstand der Politik zu besiegeln. Deutschland hat schwierige Jahrzehnte vor sich. Die notwendige Konversion kann ich auch als Wähler nicht beeinflussen. Die parlamentarische Demokratie zwingt mich in die Zuschauerrolle. Auch
nicht schlecht, denn dabei fühle ich mich in guten Momenten wie
im Theater.
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Jürgen Albrecht, 05. September 2005