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Der Status dieser Zivilisation 5/7


Kunst

K1. Kultur sind alle menschlichen Lebensäusserungen. Kultur ist im englischen Sprachraum gleichbedeutend mit civilization. Kultur war ursprünglich agricultura: Bodenkultur, sodann im übertragenen Sinn die Pflege und Veredelung der körperlichen und geistigen Anlagen des Menschen (Encarta 2001). Im engeren Sinne ist die Kultur die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäusserungen einer Gemeinschaft (Duden, das Fremdwörterbuch, 2002).

K2. Kultur ist ein wesentliches Medium für Moral. Wissenschaft und Bildung vermittelt Moral über den Verstand, die Kunst über die Emotionen.

K3. Im engeren, künstlerischen Sinne ist Kultur fast ausschliesslich erfreulich, denn sie hat viel mit Ästhetik, Emotionen, Freude, angenehmen Gefühlen und geistiger Freiheit zu tun.

K4. Kunst ist Phantasie. Sie tut gut, aktiviert, beflügelt, regt an und auf. Sie wirkt viel direkter auf die Emotionen, als auf den Verstand.

K5. Kunst öffnet den Menschen eine gute Welt ohne Existenzkampf und Konflikte, aber voller Harmonie und Ästhetik. Kunst ermöglicht es dem Menschen, in seiner Phantasie gut, edel und feinsinnig zu sein. Leider aber nur in der Phantasie.

K6. Kunst macht das Leben auch in finstersten Zeiten lebenswert, denn sie ermöglicht den Menschen, sich mindestens zeitweilig in eine bessere, virtuelle Welt zu flüchten.

K7. Kunst wurde und wird immer von den Mächtigen bezahlt und für ihre Zwecke benutzt (Auftragskunst). In Machtmissbrauch ist Kunst immer involviert (Religionen, Diktaturen).

K8. Kunst geht nach Brot. Künstler liessen und lassen sich kaufen und prostituieren sich für Geld und Ansehen. Sie sind die modernen Hofnarren der Reichen und Mächtigen.

K9. Die Religionen haben den grossen psychologischen Effekt von Kunst frühzeitig erkannt und für ihre Zwecke genutzt. Religionen haben Künstler zu allen Zeiten zu grossen Werken inspiriert.

K10. Kunst hat neben der Wissenschaft die grössten menschlichen Werke hervorgebracht: Gedankliche Systeme, Philosophische Denkgebäude, Barockmusik, Klavierkonzerte, impressionistische Bilder, Jugendstil, Bauhaus-Design, Architektur, Fotografien, Romane, Gedichte (meine subjektive Wertung).

K11. Die Kunstszene der Moderne lebt vom Tabubruch, der Provokation und dem Event. Kunst kommt nicht mehr von Können, sondern von Klamauk.

K12. Die Beliebigkeit und Inhaltslosigkeit der Kunst der Moderne funktioniert überall. Nur die Literatur entzieht sich diesem Trend. Warum? Literatur hat zu viel mit Verstand zu tun und das Segment Trivialliteratur existierte schon lange vor der Moderne.

K13. Künstler werden heute nicht ausgebildet, sondern von den Medien gemacht: Viel Selbstüberschätzung, exhibitionistische Neigungen und eine auffällige Macke sind die Startvoraussetzungen.

K14. Die künstlerische Freiheit war immer nur eingeschränkt vorhanden. In der Kunst der Moderne existiert sie gar nicht mehr. Kunst für die kein Markt auszumachen ist, besitzt keine Existenzberechtigung.

K15. Damit aber zeigt die Kunst ihre begrenzte Bedeutung: Kunst ist im Existenzkampf des Menschen (um das nackte Überleben oder um Besitzt und Macht) nur eine Marginalie, nur das Decor.

K16. Kunst transportiert Wertvorstellungen, sie macht aber (leider) aus den Menschen keine besseren Menschen. Dazu eignet sich Bildung (im Verein mit Kunst) besser.

Widersprüche

W1. Steinzeitliches Verhalten: Menschen von heute sind steinzeitliche Jäger und Sammler, die in einer technischen Massengesellschaft leben. Das Gattungswesen des Menschen: Gier nach Eigentum und Macht, Eigennutz, Gewaltbereitschaft, Revierverhalten und Selbstüberschätzung. Keine bewusste Sinngebung, kein Weitblick, beherrscht durch Emotionen, kaum Vernunft. Völlig ausgelastet mit der Produktion, Verteilung und Verteidigung von individuellem Wohlstand. Menschen mit solchem Verhalten sind unfähig, deutlich sichtbare, globale Zukunftsfragen (und die hier beschriebenen Widersprüche) zu lösen (Rio, Kyoto, Johannesburg). Deshalb entwickeln sich menschliche Gesellschaften zwangsläufig immer wieder zu Kaiserreichen, Diktaturen und Oligarchien.

W2. Gewalt statt Vernunft: Gewaltanwendung, Lüge und Täuschung sind die bevorzugten Verfahren für die Erringung und Verteidigung von Eigentum und Macht. Je grösser ein Konflikt, umso wahrscheinlicher wird er mit Gewalt 'gelöst'. Vernunft und Bildung haben gegenüber Gewalt und Militär praktisch keinen Stellenwert. Die Gesellschaft funktioniert ohne Vernunft, ohne Bildung und ohne Kenntnis der Naturwissenschaften. Denken und spezialisierte Bildung sind nur bei 'Technikern' zwingend erforderlich. Unsere Zivilisation: Eine animalische Gesellschaft, gewaltbereit, emotional gesteuert und ausgestattet mit einem nie dagewesenem Waffenarsenal.

W3. Permanentes Wachstum: Endliche Resourcen und unendliches Wachstum schliessen sich aus. Deswegen ist Wachstum ein unvernünftiges Ziel einer Gesellschaft. Ständig wachsender Wohlstand und steigender Mehrwert ist mit offenen Kreisläufen, extensiver Ausbeutung der Natur und auf Kosten anderer Menschen (und Staaten) auf Zeit erreichbar. Die Folge aber ist die globale Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen: Verbrauch natürlicher Resourcen oder ihre Umwandlung in Müll; Verschmutzung von Landschaft, Wasser und Klima; irreparable Eingriffe in den natürlichen Genpool.

W4. Akkumulation von Geld und Eigentum: Die Gier nach Eigentum und die Zinswirtschaft waren und sind die Grundlage aller bisherigen Zivilisationen. Hightech und Globalisierung mit dem in der Steinzeit erfundenen, inflationären Finanzsystem. Die Gier nach Eigentum wurde optimiert durch das Eigentumsrecht, die Einführung des privaten Grundeigentums und die Privatisierung der Bodenschätze. Das Erbrecht sichert das Eigentum über den Tod hinaus. Dieses System sorgt für die zwangsläufige Akkumulation von Eigentum (und Macht) in den Händen einer kleinen Gruppe von Menschen. Daran ändert auch die Demokratie nichts, im Gegenteil, sie begünstigt die Wohlhabenden. Die Zinswirtschaft hat entscheidenden Anteil am gesellschaftlichen Ziel des permanenten Wachstums. Wachstum nährt die Illusion, der Inflation zu entkommen.

W5. Kein Ausgleich zwischen Arm und Reich: Die Reichen (Staaten) wurden und werden reich auf Kosten der Armen (Staaten). Kapital und Macht sind identisch, deshalb teilen die Reichen ihr Kapital mit den Armen nicht. Sie haben auch kein Interesse daran, dass die Armen aus eigener Kraft reich werden, denn das läuft letztendlich auch auf Teilen hinaus. Das Gefälle von Eigentum, Wohlstand und Bildung läuft in Form eines Naturgesetzes auf die Reichen und die reichen Staaten zu. Trotzdem versucht die Erste Welt, den Ausgleich mit Gewalt aufzuhalten. Auch wenn längst bewiesen ist, dass Armut und Fanatismus mit Gewalt nicht zu beseitigen sind, wird genau das mit immer effektiveren Waffen ständig neu versucht (ABC-Waffen, Weltraumrüstung, Präventivkrieg, Krieg gegen den Terrorismus, Nation-Building).

W6. Energieabhängige Technik: Die gegenwärtige Zivilisation basiert entscheidend auf Technik, die ohne Energie nicht funktioniert. Die Abhängigkeit der Gesellschaft von Technik und Energie ist umfassend. Durch digitale Informationstechnologien wurde sie total. Ein globaler, 14-tägiger Stromausfall wirft die hochtechnisierte Zivilisation schlagartig um 20.000 Jahre zurück. Es funktioniert nur noch die Natur, mit der 'zivilisierte' Menschen nicht mehr umgehen können. Im Jahr 2004 ist die westliche Welt davon abhängig, dass täglich 80 Millionen Barrel Rohöl gefördert werden. Weltweit werden 90 Prozent der Energie aus fossilen Energieträgern erzeugt. Der Energiebedarf steigt, die Deckung des Bedarfs wird teurer, die Resourcen sind endlich. Energiekrisen sind absehbar oder bereits akut. Kriege um Öl finden statt und werden zunehmen.

W7. Labile Technik: Technik ist prinzipiell labil, weil Naturgesetze und Technik eine Komplexität besitzen, die der Mensch weder ahnt noch beherrscht. Die Technik ist grundsätzlich störanfällig, wartungs- und energieabhängig. Technische Konzepte sind kurzsichtig, Folgeabschätzungen unterbleiben, oder sind unmöglich. Die bevorzugte Methode in Forschung und Entwicklung ist Trial and Error und nicht gedankliches Probehandeln. Niemand steuert oder kontrolliert die wissenschaftlich-technische Entwicklung. Sie wird durch brennende Neugier und die Aussicht auf Gewinn angetrieben, aber nicht durch Moral begrenzt. Daraus erwachsen völlig unkalkulierbare Risiken.

W8. Religiöse Weltbilder: Die gesamte Technik der Gesellschaft basiert auf den Naturwissenschaften. Die technisierten Menschen aber leben mit Jahrtausende alten, religiösen Weltbildern. Ideologien sind nicht besser als Religionen, weil auch sie auf fiktiven 'Glaubenssätzen' beruhen. Es existiert kein wissenschaftlich fundiertes Weltbild, das mit Religionen oder Ideologien konkurrieren könnte. Der menschliche Geist ist nicht annähernd adäquat mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Möglichkeiten gewachsen. Sinngebung, vernünftiges Handeln, Denken und Moral sind auf dem Niveau mystischer oder utopischer Fiktionen stehen geblieben. Ein konfliktträchtiger Anachronismus.

W9. Verschärfung der Widersprüche: In dieser Gesellschaft existieren tausende von Widersprüchen. Für die meisten gilt: Sie sind systemimmanent und prinzipiell nicht auszugleichen. Sie wirken global und sie besitzen die Tendenz, sich (auch exponentiell) zu verschärfen.

 

Aktualisiert: 29.10. 2002, 31.10.02, 05.11.02, 08.11.02, 09.11.02, 12.11.02, new: 19.11.02, 23.01.03
Panglao, 04.02.03, 13.02.03; Berlin, 24.10.03, 01.06.04; Puerto Galera, 18.02.2005, Berlin, 15.09.2005

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